Das schlimmste Gefühl ist,
wenn dir keiner helfen kann. Man möchte weg aus der Welt, sich verkriechen,
sich die dunkelste, abgelegenste Ecke suchen und mit ihr verschmelzen. Man will
keinen sehen, keinen hören und keinen spüren. Die Angst und Verlassenheit
übernimmt deine Kontrolle und vollkommene Schwäche übermannt deinen Körper. Die
Leute versuchen dir zu helfen, obwohl sie wissen, dass es nichts zu helfen
gibt. Wenn ein Körper im Nichts schwebt, zwischen lauter Verlorenheit und
Schmerz, ist Hilfe ein tonloser Schrei, der dich nicht mehr erreicht. Sie
wollen mit dir reden, doch es kommt nichts an. Der abklingende Laut ihrer
Stimmen verliert sich viele, viele Kilometer in der Dunkelheit, bevor er als
eiskalter Windhauch bei dir ankommt, der dich immer mehr ins Unglück stürzen
lässt. Du willst und kannst nicht reden, und sie können es nicht verstehen. Sie
wissen nicht, wie es in dir aussieht. Das alles, was dir übrig geblieben ist,
durch eine minimale Berührung zerbrechen kann. Und doch fuchteln sie mit ihren
Händen an dir herum, versuchen dich wachzurütteln aus deiner Trance, die dich
in ihren Fängen hat, der dein einziger Schutz in all dieser Dunkelheit ist. Er
umschließt dich mit gewaltiger Kraft, zerquetscht dich beinahe, doch du
brauchst diese gewaltsame, unsanfte Stärke. Sie ist der einzige Weg, Herz und
Kopf beieinander zu halten. Der unaufhaltsame Schmerz versucht sie mit allen
Mitteln voneinander zu trennen, für
immer und ewig. Und genau dort, wo du liegst, halb zerdrückt von der Last in
deiner Seele, umhüllt von eisiger Hitze und feuriger Kälte, genau da ist der
einzige Ort, der dich schützt. Dich schützt vor den dumpfen Schlägen, den
verzweifelten Rufen von draußen, die dir helfen wollen. Wie gewaltige
Flutwellen rollen die kläglichen Versuche, dich zu erreichen, auf dich zu,
ziehen an den eisernen Ketten um dich zurück in die Realität zu holen, doch du
bist schwach und deine Ketten zu stark, um dich von deiner Einsamkeit loszureißen.
Immer mehr verkriechst du dich in deinem Schmerz, verschließt dich vor der
Außenwelt, lässt nichts mehr an dich ran, nicht einmal die kleinen eisigen
Windböen, die einst einmal nach Hilfe versprechende Rufe waren. Es wird ganz
still um dich herum, nur dein langsamer, schwacher Puls tönt in deinem von
Leere ausgefülltem Kopf. Obwohl die Schwärze um dich herum nicht vollkommener
hätte sein können, wird es immer dunkler. So dunkel, dass du nicht mehr weißt,
ob du überhaupt noch existierst. Trotzdem pulsiert dein Herz weiter, will nicht
aufhören zu schlagen. Abwechselnd übermannt dich extreme Hitze und eisige
Kälte. Im Sekundentakt fängt das Blut in dir an zu kochen und zu gefrieren. Das
Atmen fällt dir immer schwerer, und doch hörst du nicht damit auf. Weil
irgendwo in dir drin ein winzig kleines Stück Hoffnung lebt, irgendwo zwischen
all dem Schmerz und der Trauer. Es sitzt ganz tief in dir drin, ein winzig
kleines Stück deiner Persönlichkeit, das so stark ist, dass es überlebt. Und es
ist zwar stark, doch nicht so stark, dass es dir jetzt helfen kann. Es braucht
Zeit, Unmengen an Zeit um zu wachsen und dich aus deinem Tiefschlaf erwachen zu
lassen. Noch ist es nicht so weit. Du wirst weiter in deinem kleinen Cocon, aus
verzweifeltem Selbstschutz gebaut, verweilen und versuchen, den Schmerz
weiterziehen zu lassen, um Hilfe annehmen zu können. Du hast keine Ahnung wie
lange es dauern wird, doch das ist dir auch egal. Im Moment willst du nicht
zurück in die Welt da draußen, voller kleiner und großer Gefahren, die dich in
Sekundenbruchteilen zerstören können. Du würdest zerbrechen, deine Ketten
würden dich nicht mehr halten können und dein Herz und dein Kopf würden sich
für immer verabschieden. Das schwierigste im Leben ist, Herz und Kopf im
Einklang zusammenarbeiten zu lassen. Wie sollst du das schaffen, wenn sie im
Moment nicht einmal auf freundschaftlicher Basis miteinander verkehren? Nein,
solange dass nicht funktioniert, kannst du nicht raus aus deiner Isoliertheit.
Manchmal hilft nur das. Die Menschen draußen müssen lernen zu verstehen, dass
reden nicht immer etwas bringt. Vor allem nicht, wenn sie nur aufs Herz oder
nur auf den Kopf fokussiert sind. Sie müssen lernen, einen Menschen dann in
Ruhe zu lassen, wenn er es braucht. Denn wenn sie es nicht tun und weiter
versuchen auf dich einzugehen, wird dein Widerstand der Ignoranz irgendwann
brechen und du wirst dich damit befassen müssen. Und das ist der springende
Punkt. Manchmal kann ein zerstörter Mensch nicht über das reden, was ihn kaputt
macht, weil er es nicht erträgt, die Situation wieder und wieder anzusehen.
Geht man es zu früh an, sprengt es einem den Willen, verstehen zu wollen. Der
Verstand schaltet sofort auf stur und du schüttelst deinen Kopf, immer wieder
und immer weiter, weil du nicht willst, dass die Menschen erkennen, dass du
grade zu schwach und zu widerstandslos bist, um zuzugeben, dass du im Moment
die Situation nicht erkennen und verstehen willst. Und die Tränen der Angst
fließen, weil der Schmerz so unglaublich wehtut und dir alles raubt, was dir
wichtig ist. Die Zeit ist noch nicht gekommen, sie ist noch etliche Kilometer
von dir entfernt und wartet auf den richtigen Zeitpunkt. Im Gegensatz zu den
Menschen draußen in der Welt, versucht die Zeit sich nicht zu beeilen und dich
zu bedrängen, um zu reden. Sie lässt dir das einzige, was du momentan hast.
Selbstschutz. Sie kennt dein kleines Geheimnis, dein kleines Stückchen
Hoffnung, dass du tief in dir verborgen mit dir trägst und wartet, bis es groß
genug geworden ist, um die Angst, den Schmerz, die Verlorenheit und
Verlassenheit in Angriff zu nehmen.
Deine Augen werden schwer.
Leise schleichen die Tränen über deine Wangen und nehmen die ersten Fetzen
Trauer mit sich. Dein Puls schlägt ein minimales bisschen schneller und stärker
und du spürst, wie sich die Fesseln um einen Nanometer lockern. Es wird jeden
Tag so weitergehen und mit jeden 24 Stunden wird es ein wenig leichter werden,
den Weg zurück in die alte Welt zu finden. Bis dahin bleibst du dort liegen,
da, wo du allein und einsam bist, wo dich die starken Fesseln halten, deinen
Kopf und dein Herz miteinander verbinden und du alles, was dich langsam
zerstört mit eigener, nervenaufreibender Kraft aus dir herausschleudern kannst,
solange, bis es zu Ende ist und du mit einem kraftvoll schlagendem Herz und
einem großen Stück Hoffnung aufrecht aus deiner dunklen Ecke herauskommst, mit
offenen, klaren Augen und einem Lächeln im Gesicht.