das lenkrad klebt an meinen händen
und die gedanken im netz der teufelskreisspinne
sich verkrampfende adern
damit man nicht zittert
aber dann zittert eben der atem
wenn es die finger schon nicht können
das klare sichtfeld weicht einem tunnelblick
der tränen in die augenwinkel treibt
während die pupillen langsam zuckend
aus der frontscheibe heraus starrend
ihren weg hinauf zu deinem fenster wanken
und dort verharren
für ein
zwei
drei
endlos erscheinende atemzüge
und immer wieder blitzt und kracht es im schädel
alles droht unter der macht aller erinnerungen zu zerplatzen
denn plötzlich ist alles wieder da
weder nah noch fern
doch trotzdem steht er plötzlich wieder da vorne
in der kleinen parklücke direkt vor dem gebäudetrackt
der beschfarbene skoda fabia
mit dem badischen kennzeichen
und zwischen gebäude und fahrzeug
diese zwei gestalten
koffer und atlas in der hand
sich anlächelnd als könne nichts in der welt ihr glück verhindern
seine hände um ihre hüfte geschlungen
und man könnte meinen, den kuss selbst heute gespürt zu haben, den er ihr auf den nacken hauchte
und während man alles so beobachtet
und die durch die salzigen tränen benetzten augen nahezu das restliche sichtfeld verschwimmen lassen
verharrt dieses szenario im kopf
und als sie sich aus seiner umarmung löste
und ihre fingerspitzen ein letztes mal über seine hände streiften
drehte sie sich plötzlich um
sah mich an
und sie stand da
als hätte sie in die augen des todes geblickt
während hinter ihr
nur noch der schatten seiner gestalt
silhouettenhaft
um die ecke des gebäudes wehte
sie war allein
und sie war ich
die glückliche seite
als damals sinn und grund des lebens irrelevant waren
die jetzt
zwischen wehendem wind
und greifender kälte
kraftlos auf die knie sank
und mich ansah
selbst nachdem sie ihre augen schloss
sich fallen lies
vom abebbenden lebenswillen ergriffen
mit sich fortgetragen wurde
dies war der zeitpunkt, an dem ich aus der erinnerung
zurück in die realität gerissen wurde
und die hände klebten noch immer am lenkrad
doch es war ruhiger geworden
vielleicht, weil der zitternde atem verstummt war
und ich einige sekunden brauchte, um mich zu erinnern
wie atmen noch mal funktioniert
unfähig mich zu bewegen
versuchte ich, mich aus dem fahrersitz zu schälen
griff die tür, stieß sie auf
und als der kühle wind mein auto flutete
überschwemmte er auch den kopf mit sauerstoff
der das sichtfeld klärte
die lungen füllte
ein wenig lebendigkeit einhauchte
bis schließlich erst das linke
dann das rechte bein
wackelig ihren weg aus dem auto fanden
und die gedanken schwanken
so wie die beine
als die tür klackend hinter mir ins schloss fiel
und man halb konzentriert
halb dissoziativ
fuß vor fuß
den weg vom auto zu seiner haustür zurücklegte
gleichend einer endlos erscheinenden strecke
ein wochenmarsch von vielleicht 100 metern fußweg
und jeder schritt
glich einem stromschlag
einer negativen energie
die in form von
aufregung
hoffnung
angst
verzweiflung
liebe
und
erwartung
durch die venen schoss
den kopf betäubte
die sinne verdrehte
bis man dann plötzlich
vor der massiven holztür stand
und wieder fluteten erinnerungen sämtliche synapsen im hirn
und innerliche krämpfe durchzuckten die muskeln
kniffen die augen zusammen
ballten die hände zur faust
nur um mit allem zu verhindern
zurück zum ersten tag
zum ersten treffen zu driften
der schmerz war zu imens
der druck zu hoch
der körper zu schwach
also zuckte der finger hoch zur klingel
und betätigte zitternd den schalter
stille
herzpochen, das bis in den hals zu spüren war
wenige, endlos erscheinende sekunden
bis das summen der tür aufbrummte
und ich erschrak
und vergaß fast, die tür aufzudrücken
vor lauter überraschung
dieses summen so selten gehört zu haben
und es so fremd schien
weil die tür ansonsten
doch immer mit dem schlüssel geöffnet wurde
so wie man es doch eigentlich machte
wenn man zuhause ankam
und wieder schoss dieser erstickende schmerz durch meine brust
als ich das erste mal ehrlich realisierte
dass das hier nicht mehr mein zuhause war
der kühle, feuchte treppenaufgang sah aus wie immer
jeder tritt, jede stufe schien wie feuer
schien wie züngelnde flammen, die an meinen füßen leckten
und als ich dann das fenster erreichte, aus dem man hinunter in den garten sehen konnte
drehte ich den kopf etwas zu langsam zurück richtung stufe
konnte mich nicht früh genug gegen die wucht der nächsten erinnerung wehren
schoss direkt aus dem zentrum des gedächtnisses
mitten ins bewusstsein
und während man blind die stufen hinaufstolperte
lag der fokus auf der kleinen sitzgelegenheit im garten
umwoben von hohen gesteinsmauern
und mittendrin er und sie
damals war sie noch raucherin
er hielt mit der einen hand sein handy ans ohr
und mit der anderen streichelte er ihre hand
es war ihr erster gemeinsamer morgen gewesen
nach ihrer ersten gemeinsamen nacht
in der sie so gut wie seit fast einem jahr nicht mehr geschlafen hatte
und während er mit seiner mama telefonierte
immerzu lächelnd
fühlte sich für sie alles so selbstverständlich an
und sie schwor sich, das rauchen zu beenden
und ein besserer mensch zu werden
und sie fühlte, dass das hier ihr zuhause sein würde
für immer
und als dieses "für immer" ihren kopf erreichte
zersplitterte die erinnerung in tausende scherben
abermilliardene einzelteile
und in einer der scherben
spiegelten sich ihre augen
vollgesogen mit schmerz und trauer
spiegelte ich mich selbst
und das bewusstsein kehrte zurück in die realität
die nunmehr nicht mal zehn treppenstufen vom alles entscheidenden treffen entfernt war
das herz pochte lauter
wollte nahezu aus der brust hüpfen
doch anstatt mich zu beruhigen
langsamer zu atmen
war das einzige, was meinen vernebelten kopf erreichte
nur der gedanke, dass das herz doch wenigstens vor freude aus der brust hüpfen sollte und nicht vor schmerz und gottverdammter todesangst
die beine erreichten den letzten treppenabsatz wie wackelpudding
und als sich aus dem verschwommenen blickfeld seine gestalt löste
begann das herz, schneller zu schlagen
diese wärme schlug auf
wie jedes mal wenn er vor mir steht
selbst dann, wenn man nichts lieber wollen würde
als vor der situation zu flüchten
und als er sanft begann, zu lächeln
musste ich mich bemühen, die tränen hinunterzuschlucken
um nicht zu weinen und ihm um den hals zu fallen
dumpfer atem
herzpochen
zitternde, wankende schritte in seine richtung
eine umarmung, die weder sekunden noch minuten dauern würde
überkommender schwindel, als das bewusstsein die gegend besser wahrnahm
das wort "zuhause"
das immerzu durch die gänge des gedächtnisses schlurfte
versuchte, sich aufrecht zu erhalten
sich gegen den aufkommenden sturm zu stämmen
gegen die starken winde
gegen all den platzregen
und man selbst schlurfte wie in trance hinter ihm her
in sein zimmer
und die augen können keinen festen punkt fokussieren
alles beginnt, sich zu drehen
ein riesiger wirbel an vergangenen gefühlen und erinnerungen
das bett
der schreibtisch
der stuhl
der kleiderschrank
selbst der große pappkarton mit den pfandflaschen und leeren bierdosen
schmerz und vertrautheit arm in arm
und mittendrin mein kopf
bereit, den notschalter umzulegen
bereit, die dunkelheit mit offenen armen zu empfangen
um für immer dem schlaf entgegenzudriften
weil diese gefühle kein ertragen mehr wert sind
und doch lässt man sich
erschöpft auf das bett fallen
und wieder trifft einen mit voller kraft vertrautheit
so schmerzhaft präsent
dass die erinnerung an den restlichen tag zwischen dissoziationen verschwimmt
ausgesprochene worte und schwebende blicke
die sich gegenseitig suchen
sekundenlang verharren
die eigenen pupillen spiegeln sich in jenen des gegenübers
fliegen immer wieder von augen zu lippen, lippen zu augen
unausgesprochene gedanken
sich nahezu gleichend
taubheit und schmerz wechseln im minutentakt
haltloses lachen und markerschütterndes schluchzen
immer wieder
immer wieder
immer wieder und wieder und wieder
worte verblassen auf bebenden lippen
lösen sich ausgesprochen im raum auf
distanziertheit, die nach körperlicher nähe schreit
und je länger das gespräch geht, desto wortloser wird man
und desto schwächer wird der innere widerstand
sich dem anderen nicht zu nähern
am ende liegt man doch mit dem kopf auf seiner schulter
und fühlt sich so leer wie nie zuvor
der eigene puls pocht schwach in der halsschlagader
seiner sanft in meinem ohr
die augen brennen wegen all der tränen
der kopf ist benebelt durch all den rauch der tief aus dem herzen hinauf weht
sein "wir sollten einen cut setzen" hat etwas erlöschen lassen
nicht das, was vielleicht gelöscht werden sollte
denn hoffnung flackert selbst dann noch auf
wenn das höchste feuer
selbst die kleinste erwartung niedergebrannt
die größte angst entfacht hat
und mittendrin immer und immer wieder kurze augenblicke
in denen man sich in die monate zuvor zurückversetzt fühlt
kuchen isst
kaffee trinkt
scherze macht und lacht und sich ansieht und seine hand streicht eine strähne sanft aus meinem gesicht, die tränennass an meiner schläfe klebt
die tränen kommen so schnell
das stundenglas lies fast 420 minuten wortlos verstreichen
und der kopf realisiert nicht, dass das ende nah ist
tausende worte ausgesprochen
hunderte blicke getauscht
dutzende sekunden angesehen
wenige male freude gespürt
und
ein satz, der alles in mir brechen lies
"ich glaube, es ist zeit, zu gehen"
und die tränen scheinen in den tränendrüsen keinen platz mehr zu haben
da waren doch noch so viele worte
und die große angst vor dem loslassen
etwas, das jetzt unumgehbar vor mir lag
mir seine riesige, blutige kralle entgegenstreckte
und fies grinste
und alles, was ich wollte, war bleiben
wollte nicht weg
nicht weg von dort
es war doch mein zuhause
du warst doch mein zuhause
und warum nicht jetzt
was sind schon richtige zeitpunkte
und warum ist jetzt der falsche?
und wie findest du zwischen all dem schmerz noch immer die kraft, mich anzulächeln, zu umarmen und "alles wird gut" zu flüstern?
- "bis zum richtigen zeitpunkt" -
dein letztes lächeln bricht mein herz endgültig
die tränen verlassen die augen nicht mehr
sondern umhüllen das schwach pochende blutende ding in meiner brust
als die tür hinter mir ins schloss fällt
fällt auch im kopf ein riegel ins schloss
ich bin leer
der weg zum auto taub
die autobahn nach hause irreal
das bewusstsein fühlt sich kalt an
die erinnerung glüht fortan
tag für tag für tag
immerzu
glühen in einer dauerpräsens
wie der schmerz in seiner dauerpräsens durch den körper zieht
das ist alles, was ich gerade bin
auf's minimalste reduziert
und doch viel zu viel.
Donnerstag, 4. Mai 2017
einsame tränen
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