Nachts
sitzt sie oft auf ihrem Balkon. Denn Nachts gehört die Welt ihr.
Sie
schlingt ihre dünne Decke um sich, schleicht leise die Stufen zum
Flur hinauf und zieht langsam und vorsichtig an der Glastür, um
niemanden zu wecken. Die Luft heute Nacht ist kühl, aber
gleichzeitig so herrlich erfrischend und trägt ihre Gedanken ganz
weit hinfort. Seichter Wind umfasst ihre langen Haarsträhnen und
lässt sie schwerelos in seiner Bewegung mit sich gleiten. Sie
lächelt, während sie ihre wärmende Tasse mit heißer Milch und
Honig mit ihren zarten Händen umfasst, auf Zehenspitzen zu ihrem
Klappstuhl tapst, der wie immer schon am Rande des Balkons dasteht
und lässt sich in den kühlen blauschwarzen Stoff sinken, der sofort
ein wenig nachgibt. Sie lauscht dem leisen Quitschen der Scharniere
und stützt vorsichtig ihre Beine auf dem Balkongeländer ab. Mit
einem leisen Klack landet die Tasse behutsam auf dem
nebenstehenden Tisch, damit sie sich noch enger in ihre kuschlige
Decke einmummeln kann. Dann umfasst sie wieder ihre Tasse - sie ist
blassgrün mit einigen verschlungenen Ornamenten - und spürt diese
angenehme Wärme, die langsam von ihren Fingerspitzen durch ihre
Hände, hinauf in ihre Arme, in ihren Kopf und hinunter durch ihren
gesamten Körper zieht. Sie schließt die Augen und lauscht. Da ist
nichts. Naja. Fast nichts. Hin und wieder flüstert sanft das leichte
Wehen des Windes und manchmal, ganz ganz selten, da hört sie das
Universum. Es hat unendliche viele Stimmen. Sie sind jedes mal so
verschieden. Manchmal sind die laut und penetrant, und da erscheint
es ihr sogar auch mal nervig und störend, einmal sogar so störend,
dass sie ins Haus verschwunden ist. Und manchmal, da sind die Stimmen
des Univerums wirr und unvertraut. Und manchmal, da ist das Universum
still. So still, dass es weh tut. So still, dass die Stille sie
anbrüllt. So still, das still kein Ausdruck mehr für diese
Stille ist. Und heute? Heute lauscht sie dem Universum mit dem ganzen
Körper. Ihre Augen sind noch immer geschlossen. Und sie ist ganz
ruhig. Ihre Finger tippen rhythmisch an der Porzellanschale der
Tasse, immer wieder, ganz von selbst. Das Universum. Es ist dunkel.
Und... ja, und was? Was sind das für Geräusche? Was ist das
Universum heute? Da.. da ist ein Summen. Es ist leise. Fast nicht
hörbar. Es ist nicht sonderlich tief, aber auch nicht hoch. Und da
ist.. da ist noch mehr. Da sind Schwingungen. Und sie sind bunt. Ganz
bunt. Sie schimmern in den Farben des Regenbogens. Schwirren hin und
her. Und sie sind laut. Diese Schwingungen. Aber sie haben keinen
Ton. Sie haben nur Farben. Laute, ganz laute Farben. Und das Summen,
es gehört zu diesen lauten Farben. Sie sind total ungleich, aber
irgendwie bringt das eine das andere in Bewegung. Da ist ein
Flimmern. Es ist warm. Es erinnert an Lagerfeuer und gelassene
Stimmung in der Nacht, erinnert an.. an dasitzen mit Menschen, die
man liebt und das Gefühl, wenn diese Liebe dieser Menschen einen
selbst erreicht und den Kopf flutet und dieses unverwechselbare
Gefühl in einem entfacht, dieses eine, unvergleichbare Gefühl,
wisst ihr was ich meine? Sie öffnet ihre Augen. Und da sind all
diese Geräusche, all diese Wahrnehmungen. Diese farbigen
Schwingungen. Dieses Flimmern. Und dieses Summen. All das und.. sie
schaut in die Ferne und.. der Himmel ist übersät mit blitzenden,
kleinen Lichtern. Diese Mmilliarden Sterne, diese millarden eigenen
kleinen Universen. Sie alle haben diese Geräusche. Sie alle klingen
anders. Und sie will sie alle. Sie will diese Universen kennenlernen
und hören und sehen und wissen, wie sie klingen, wie sie aussehen
und was es dort gibt. Und dann träumt sie sich weg. Sie blickt in
diese Ferne, diese Ferne mit den tausenden und millarden Lichtern und
Universen und sehnt sich nach dieser Vollkommenheit, die der Anblick
ausstrahlt. Sie will fliegen, ja, fliegen, will weit weit weg, weit
hinauf und dort hin und all das erfahren und spüren und ganz und
ganz selbst ein Universum sein. Denn, wer sagt, dass man kein
Universum sein kann? Denn jeder hat doch irendwo seinen Eigenarten.
Ganz so wie das Universum. Ganz so wie all das, was sie hört, wenn
die Stimmen der Universen nach ihr Rufen. Was ist sie? Wie ist sie?
Sie? Sie ist grün. Hellgrün, sie erinnert an Bäume im Frühling
und saftige Wiesen und Wärme und gute Laune. Und da ist ein helles,
seichtes lachen. Dieses Lachen, es ist so freundlich und erinnert an
große, glückliche Augen mit riesigen glänzenden Pupillen und einem
Honigkuchenpferdgrinsen, dass sämtliche schlechte Dinge einfach in
sich verschluckt und nie wieder hervorkommen lässt. Sie atmet leise
ein und wieder aus. Da ist noch mehr. Was ist sie? Welches Universum
will sie sein? Da sind Kreise. Und diese Kreise haben einen süßlichen
Geruch. Sie riechen nach Schokolade und Karamell und erinnern an
diesen süßen Geruch des Sommers und des frühen Herbstes. Überall
ist dieses Grün, dieser Sommer und Frühling und Herbst in einem und
irgendwo auch der Winter mit seiner unvergleichbar wunderschönen
glitzernden Schneelandschaft und diese ganzen Gerüche und Farben und
Bewegungen und Gefühle da ist so viel... Ihre Lippen liegen sanft
und ganz leicht aufeinander, alles kribbelt und plötzlich ist es,
als wäre jede Zelle in ihr ganz eigen. Ein ganz eigenes Universum.
Und es ist als, als würde sie zerbersten in abermilliarden einzelne
Universen, so viele Universen, so viele Wahrnehmungen so viel um sie
herum, überall und in ihr drin und sie hält ihre Tasse ganz, ganz fest
und schmeckt den Honig auf ihrer Zunge und alles ist ganz
elektrisiert vom Augenblick, dieser mächtige Augenblick der ihr
gesamtes Sein aufspaltet und in seine Einzelteile zerlegt und sie
sitzt so da und ist ganz ruhig und ... lässt es einfach geschehen.
Denn. Da sind diese Universen. Und sie ist ein Teil davon. Sie ist
ein Teil der Universen. Und da sind schon so verdammt viele
Universen, so viele Wahrnehungen, so viele Dinge, die sich einfach
nicht beschreiben lassen weil ihre Beschreibungen so unbeschreibbar
sind wie diese Stille des einen Universums, das so still ist, das das
Wort Still diese Stille nicht mehr beschreibt. Sie lässt sich
gleiten. Da ist kein Körper mehr. Und da ist kein Sein mehr. Da sind
nur noch Wahrnehmungen. So vieles. So viele Dinge. Und sie
mittendrin. Da sind so viele Universen. Und sie mittendrin. Und da
ist diese Liebe. Diese Liebe für all diese Wahrnehmungen, deren
Beschreibungen einfach kein Weg sind, um ihr Gefühl wirklich
wahrnehmbar zu machen. Diese Liebe die sie hinfortzieht, hinaus,
immerzu Richtung Unendlichkeit, immerzu hin zu diesen tausenden und
milliarden Lichtern in der Ferne die sie im Bann halten, und sie
sitzt einfach da. Und ich sehe an und sie sitzt einfach da. Da ist
ein Lächeln auf ihren Lippen. Und ein Glitzern in ihren Augen. Da
ist etwas, wofür ich keine Beschreibungen finde. Und ich sehe sie so
an und denke nach und die Zeit und Stunden vergehen bis dieses
Lächeln auf ihren Lippen verschwimmt und dieses Glitzern an Glanz
verliert und ich drehe mich langsam und sehe, dass die Sonne aufgeht.
Ich höre das leise Tapsen ihrer Zehenspitzen und das seichte
druckartige Geräusch, wenn die Glastüre leise geschlossen wird.
Der schwarzblaue Klappstuhl ist leer und dieses Gefühl nicht mehr
da. All diese Wahrnehmungen, die Stimmen des Universums...
verschlungen in der Schwärze des aufgehenden Tageslichts. Und ich?
Ich habe sie gespürt. All diese Universen. All das, und... während
ich den letzten Wahrnehmungen lausche, und dieses Kribbeln aus meinem
Körper zieht, holt mich der Schlaf langsam aber sicher zurück ins
Leben.
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