Samstag, 4. Juni 2016

Stimmen des Universums (Spontan entstandener Slamtext)

Nachts sitzt sie oft auf ihrem Balkon. Denn Nachts gehört die Welt ihr.
Sie schlingt ihre dünne Decke um sich, schleicht leise die Stufen zum Flur hinauf und zieht langsam und vorsichtig an der Glastür, um niemanden zu wecken. Die Luft heute Nacht ist kühl, aber gleichzeitig so herrlich erfrischend und trägt ihre Gedanken ganz weit hinfort. Seichter Wind umfasst ihre langen Haarsträhnen und lässt sie schwerelos in seiner Bewegung mit sich gleiten. Sie lächelt, während sie ihre wärmende Tasse mit heißer Milch und Honig mit ihren zarten Händen umfasst, auf Zehenspitzen zu ihrem Klappstuhl tapst, der wie immer schon am Rande des Balkons dasteht und lässt sich in den kühlen blauschwarzen Stoff sinken, der sofort ein wenig nachgibt. Sie lauscht dem leisen Quitschen der Scharniere und stützt vorsichtig ihre Beine auf dem Balkongeländer ab. Mit einem leisen Klack landet die Tasse behutsam auf dem nebenstehenden Tisch, damit sie sich noch enger in ihre kuschlige Decke einmummeln kann. Dann umfasst sie wieder ihre Tasse - sie ist blassgrün mit einigen verschlungenen Ornamenten - und spürt diese angenehme Wärme, die langsam von ihren Fingerspitzen durch ihre Hände, hinauf in ihre Arme, in ihren Kopf und hinunter durch ihren gesamten Körper zieht. Sie schließt die Augen und lauscht. Da ist nichts. Naja. Fast nichts. Hin und wieder flüstert sanft das leichte Wehen des Windes und manchmal, ganz ganz selten, da hört sie das Universum. Es hat unendliche viele Stimmen. Sie sind jedes mal so verschieden. Manchmal sind die laut und penetrant, und da erscheint es ihr sogar auch mal nervig und störend, einmal sogar so störend, dass sie ins Haus verschwunden ist. Und manchmal, da sind die Stimmen des Univerums wirr und unvertraut. Und manchmal, da ist das Universum still. So still, dass es weh tut. So still, dass die Stille sie anbrüllt. So still, das still kein Ausdruck mehr für diese Stille ist. Und heute? Heute lauscht sie dem Universum mit dem ganzen Körper. Ihre Augen sind noch immer geschlossen. Und sie ist ganz ruhig. Ihre Finger tippen rhythmisch an der Porzellanschale der Tasse, immer wieder, ganz von selbst. Das Universum. Es ist dunkel. Und... ja, und was? Was sind das für Geräusche? Was ist das Universum heute? Da.. da ist ein Summen. Es ist leise. Fast nicht hörbar. Es ist nicht sonderlich tief, aber auch nicht hoch. Und da ist.. da ist noch mehr. Da sind Schwingungen. Und sie sind bunt. Ganz bunt. Sie schimmern in den Farben des Regenbogens. Schwirren hin und her. Und sie sind laut. Diese Schwingungen. Aber sie haben keinen Ton. Sie haben nur Farben. Laute, ganz laute Farben. Und das Summen, es gehört zu diesen lauten Farben. Sie sind total ungleich, aber irgendwie bringt das eine das andere in Bewegung. Da ist ein Flimmern. Es ist warm. Es erinnert an Lagerfeuer und gelassene Stimmung in der Nacht, erinnert an.. an dasitzen mit Menschen, die man liebt und das Gefühl, wenn diese Liebe dieser Menschen einen selbst erreicht und den Kopf flutet und dieses unverwechselbare Gefühl in einem entfacht, dieses eine, unvergleichbare Gefühl, wisst ihr was ich meine? Sie öffnet ihre Augen. Und da sind all diese Geräusche, all diese Wahrnehmungen. Diese farbigen Schwingungen. Dieses Flimmern. Und dieses Summen. All das und.. sie schaut in die Ferne und.. der Himmel ist übersät mit blitzenden, kleinen Lichtern. Diese Mmilliarden Sterne, diese millarden eigenen kleinen Universen. Sie alle haben diese Geräusche. Sie alle klingen anders. Und sie will sie alle. Sie will diese Universen kennenlernen und hören und sehen und wissen, wie sie klingen, wie sie aussehen und was es dort gibt. Und dann träumt sie sich weg. Sie blickt in diese Ferne, diese Ferne mit den tausenden und millarden Lichtern und Universen und sehnt sich nach dieser Vollkommenheit, die der Anblick ausstrahlt. Sie will fliegen, ja, fliegen, will weit weit weg, weit hinauf und dort hin und all das erfahren und spüren und ganz und ganz selbst ein Universum sein. Denn, wer sagt, dass man kein Universum sein kann? Denn jeder hat doch irendwo seinen Eigenarten. Ganz so wie das Universum. Ganz so wie all das, was sie hört, wenn die Stimmen der Universen nach ihr Rufen. Was ist sie? Wie ist sie? Sie? Sie ist grün. Hellgrün, sie erinnert an Bäume im Frühling und saftige Wiesen und Wärme und gute Laune. Und da ist ein helles, seichtes lachen. Dieses Lachen, es ist so freundlich und erinnert an große, glückliche Augen mit riesigen glänzenden Pupillen und einem Honigkuchenpferdgrinsen, dass sämtliche schlechte Dinge einfach in sich verschluckt und nie wieder hervorkommen lässt. Sie atmet leise ein und wieder aus. Da ist noch mehr. Was ist sie? Welches Universum will sie sein? Da sind Kreise. Und diese Kreise haben einen süßlichen Geruch. Sie riechen nach Schokolade und Karamell und erinnern an diesen süßen Geruch des Sommers und des frühen Herbstes. Überall ist dieses Grün, dieser Sommer und Frühling und Herbst in einem und irgendwo auch der Winter mit seiner unvergleichbar wunderschönen glitzernden Schneelandschaft und diese ganzen Gerüche und Farben und Bewegungen und Gefühle da ist so viel... Ihre Lippen liegen sanft und ganz leicht aufeinander, alles kribbelt und plötzlich ist es, als wäre jede Zelle in ihr ganz eigen. Ein ganz eigenes Universum. Und es ist als, als würde sie zerbersten in abermilliarden einzelne Universen, so viele Universen, so viele Wahrnehmungen so viel um sie herum, überall und in ihr drin und sie hält ihre Tasse ganz, ganz fest und schmeckt den Honig auf ihrer Zunge und alles ist ganz elektrisiert vom Augenblick, dieser mächtige Augenblick der ihr gesamtes Sein aufspaltet und in seine Einzelteile zerlegt und sie sitzt so da und ist ganz ruhig und ... lässt es einfach geschehen. Denn. Da sind diese Universen. Und sie ist ein Teil davon. Sie ist ein Teil der Universen. Und da sind schon so verdammt viele Universen, so viele Wahrnehungen, so viele Dinge, die sich einfach nicht beschreiben lassen weil ihre Beschreibungen so unbeschreibbar sind wie diese Stille des einen Universums, das so still ist, das das Wort Still diese Stille nicht mehr beschreibt. Sie lässt sich gleiten. Da ist kein Körper mehr. Und da ist kein Sein mehr. Da sind nur noch Wahrnehmungen. So vieles. So viele Dinge. Und sie mittendrin. Da sind so viele Universen. Und sie mittendrin. Und da ist diese Liebe. Diese Liebe für all diese Wahrnehmungen, deren Beschreibungen einfach kein Weg sind, um ihr Gefühl wirklich wahrnehmbar zu machen. Diese Liebe die sie hinfortzieht, hinaus, immerzu Richtung Unendlichkeit, immerzu hin zu diesen tausenden und milliarden Lichtern in der Ferne die sie im Bann halten, und sie sitzt einfach da. Und ich sehe an und sie sitzt einfach da. Da ist ein Lächeln auf ihren Lippen. Und ein Glitzern in ihren Augen. Da ist etwas, wofür ich keine Beschreibungen finde. Und ich sehe sie so an und denke nach und die Zeit und Stunden vergehen bis dieses Lächeln auf ihren Lippen verschwimmt und dieses Glitzern an Glanz verliert und ich drehe mich langsam und sehe, dass die Sonne aufgeht. Ich höre das leise Tapsen ihrer Zehenspitzen und das seichte druckartige Geräusch, wenn die Glastüre leise geschlossen wird. Der schwarzblaue Klappstuhl ist leer und dieses Gefühl nicht mehr da. All diese Wahrnehmungen, die Stimmen des Universums... verschlungen in der Schwärze des aufgehenden Tageslichts. Und ich? Ich habe sie gespürt. All diese Universen. All das, und... während ich den letzten Wahrnehmungen lausche, und dieses Kribbeln aus meinem Körper zieht, holt mich der Schlaf langsam aber sicher zurück ins Leben.

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