Mittwoch, 12. Dezember 2012

Vergangenheitskrallen

Wann geht das Leben weiter? Woher soll man wissen, ob all das nicht nur ein einziger, grauenhafter Traum ist? An Tagen wie heute wache ich auf und habe das Gefühl, das mein Inneres wie ein Eisklotz zugefroren ist, aber außerhalb meines Körpers alles seinen gewohnten Gang geht. Tja, super. Mein Leben zieht wortlos an mir vorbei und ich stehe festgekettet an alte Erinnerungen und Gefühle da und beobachte, wie sich das stählerne Tor, der einzige Weg, der mich in meiner Welt hält, langsam direkt vor meiner Nase schließt. Jetzt fragst du dich wahrscheinlich: Warum hältst du das Tor nicht einfach auf oder schlüpfst schnell hindurch, bevor es sich vollkommen verschließt? Na, ganz einfach Schätzchen. Wie soll ich es schaffen, etwas in der Gegenwart zu verändern, wenn ich seelisch noch immer im Vergangenheitszustand fühle und dort quasi als leblose Hülle vor mich hin – vegetiere? Das, was ihr hier von mir seht ist einzig und allein Beweis meiner Existenz, aber ich, ich als Persönlichkeit und Mensch, ich gehe noch immer meinen Traumweg, den ich vor ein paar Monaten, vielleicht auch vor ein paar Jahren gegangen bin. Je länger man schon in dieser Zeitspanne feststeckt, umso schneller schließt sich auch das stählerne Tor. In meiner Welt steht das Tor noch relativ weit offen, doch mit jedem kleinsten Nanometer, mit dem sich das Tor schließt, ist mir schmerzlich bewusst, dass ich mit jedem Mal, wenn die beiden offen Torflügel näher beisammenrücken, der Tatsache, einen endlos erscheinenden Schacht hinunterzufallen und nie wieder etwas anderes zu sehen als Schwärze, vollkommene Schwärze, beträchtlich näher rücke. Ich weiß, dass ich einen Weg finden muss, aus diesem ewig währenden Teufelskreis herauszufinden, doch wie? Die Zeit beginnt, meine Gefühle zu vereisen, jene Momente in meinem Leben an meine Gedanken zu ketten, so dass ich weder etwas vergessen, noch meine Meinung ändern, geschweige denn 'loslassen' kann. Ich blicke mit müden Augen hinaus zum Fenster. Es schneit. Dicke, weiße Schneeflocken schweben herab und begraben die Welt unter einer Schicht von glitzernden, leuchtenden Eiskristallen. Ein Stich zieht sich durch mein Herz hinauf zu meinen Schläfen und die gewohnten Kopfschmerzen nehmen wieder ihren gewohnten Platz in meinem Leben ein. Warum können meine alten Gefühle und Zeitspannen, die mich in der Vergangenheit festhalten, nicht auch einfach vom Schnee begraben werden und, wenigstens für eine kleine zeit, bis der Schnee geschmolzen ist, vergessen sein? Warum nicht...? Das Tor knarrt, und die beiden Türen rücken wieder ein Stück näher zusammen. Ich schlucke, sehe zu, wie die Welt, meine Welt, langsam immer mehr hinter dem riesigen Stahltor verschwindet und ich, festgekettet von Emotionen und Momenten meiner Vergangenheit, noch immer auf dem altbekannten Weg stehe und mir selbst alles wieder wegnehme, was ich mir kürzlich erst aufgebaut habe.

Donnerstag, 29. November 2012

Schmerzstillstand

Stell dir vor, du stehst vor einem Spiegel. Du betrachtest dich, doch die Augen, die dir entgegenblicken, sind nicht deine. Es ist ein leerer Blick, ein schwarzer Sumpf mit trüben, verseuchten Gewässern. Starre hat von diesen Augen Besitz ergriffen. Mit der Zeit, in der du da so vor dem Spiegel stehst, schlänget sich leise zischend Kälte an dich heran, kriecht dir den Rücken herunter, lässt dich zittern. Die Angst vor dir selbst.
Dein Spiegelbild beginnt langsam, sich zu verändern. Das Gesicht deiner selbst verzieht sich zu einer grauenhaften, hässlichen Grimasse. Ein Grinsen zieht sich vom einen Ohr zum Anderen, voller Boshaftigkeit und Schadenfreude. Der Zeigefinger deines Spiegelbildes findet seinen weg zu deinem Gesicht. Langsam fängst du an, dich selbst auszulachen. Lautlose Sätze schwirren durch den Raum. Sie dich doch an, wie scheiße du doch aussiehst. HAHA, und du glaubst wirklich, dass dich jemand leiden kann, ja?
Du erbleichst, blickst in den Spiegel, versuchst, herauszufinden, was in dir vorgeht, doch alles, was dir entgegensieht, sind kalte graue Augen ohne jegliche Emotionen. Ungläubig fängst du an, deinen Kopf zu schütteln, immer und immer wieder. Deine Hände wandern zu deinen Schläfen, du drückst zu, willst die Augen schließen, wegsehen von deinem Ich, dass dich noch immer auslacht. Immer mehr versuchst du, die Sätze, die, von drückender Stille umhüllt um dich herum schleichen, zu ignorieren. Keiner mag dich, kapier es endlich! FAHR ZUR HÖLLE. Du bist nur selbst daran Schuld, wenn etwas nicht so läuft, wie du es dir erhofft hättest.
Ein tonloser Schrei erstirbt in deiner Kehle.
Blitz.
Dein altes Zuhause.
Blitz.
Das wutentbrannte Gesicht eines Mannes. Überall Rot, überall pulsierende Adern.
Blitz.
Ein Teenager auf dem Bett. Ein Mädchen von vielleicht 15 Jahren.
Blitz.
Sie weint. Ihre Arme sind um ihre Knie geschlungen. Sie zittert, wippt langsam nach vorne und nach hinten. Immer und immer wieder.
Blitz
Ihre Lippen formen lautlos die Worte Ich bin nicht Schuld, ich bin nicht Schuld, ich bin nicht Schuld.. immer und immer wieder.
Blitz.
Blut tropft. Eine Narbe von vielleicht 2cm Länge. Puls.
Blitz.
Blut tropft. Immer und immer wieder.
Blitz.
Ich bin nicht Schuld. Ich bin nicht Schuld. Ich bin nicht Schuld...
Blitz.
Das Mädchen. Ihre Augen rot, dunkle Ringe.
Blitz.
Sie läuft über eine Wiese, nur Gras, unendliche Weite. Ihre langen, braunen Haare schweben durch die düstere, nebelige Landschaft. Ihr Blickt schwirrt hektisch umher. Sie friert, doch es ist ihr egal.
Blitz.
Dein Spiegelbild lacht nicht mehr. Dein Blick hat seine Starre verloren. Trauer nimmt seinen Platz ein. Eine Trauer, die einem alles raubt, worüber man bis eben noch lachen konnte. Tränen kullern über die Wangen deines Spiegelbildes.
Blitz.
Langsame Schritte über einen Feldweg. Sie.
Blitz.
Schwarze Hose, Schwarzer Pulli, Schwarze Schuhe. Schwarz umrandete Augen.
Blitz.
Haare wehen ihr ins Gesicht. Still sieht sie sich um. Bleibt stehen. Ihre Augen schließen sich. Minutenlang steht sie so, den Kopf zum Boden gerichtet. Ihre Hände verkrampfen sich immer wieder zu einer Faust. Einatmen, Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.
Blitz.
Ihre Atmung zittert.
Blitz.
Überall Nebel. Nichts zu erkennen.
Blitz.
Kälte zerrt an ihrer Kraft.
Blitz.
Einatmen, Ausatmen. Einatmen, Ausatmen.
Blitz
Sie hält die Luft an.
Blitz.
Sekunden vergehen.
Blitz.
Ein Schrei.
Blitz.
Er erstickt. Kreischen hallt durch die Landschaft wieder.
Blitz.
Weiter Schreien, nicht möglich.
Blitz.
Übergang in Schluchzen.
Blitz.
Knie knicken weg. Sie fällt. Aufprall auf gefrorenem Gras.
Blitz.
Du siehst dich weiter an. Wieder verändert sich der Blick deiner selbst. Ein Blick voller Selbsthass, Abscheu und Angst.
Blitz.
Eine Rasierklinge. Fest umschlungen von der Hand des Mädchens.
Blitz.
Tausende Gedanken.
Blitz.
Klinge senkt sich zum Unterarm herab.
Blitz.
Selbsthass. Hand zittert. Senkt sich weiter, verharrt wenige Millimeter vor deiner Haut.
Blitz.
Gedanken, tausende Gedanken.
Blitz.
Stechen. Ziehen, immer wieder. Schmerz. Keine Sinn fürs Fühlen. Schmerzen, immer mehr, doch kein Spüren. Immer mehr Schnitte, immer wieder und wieder.
Blitz.
Blut, so viel Blut.
Blitz.
Klinge fällt.
Blitz.
Sie lehnt sich zurück, langsam. Tut nichts mehr. Augen starren ins Nichts.
Blitz.
Sinne schwinden, doch das Bewusstsein bleibt.
Blitz.
Du.
Du siehst dich an, deine Augen haben jede Art von Emotionen verloren.
Schwärze zieht sich über die Pupille hinaus.
Du fasst dir ans Gesicht und spürst Tränen.
Langsam und Kraftvoll atmest du ein... lächelst, und der Spiegel zerbrach.



Sonntag, 28. Oktober 2012

Lied des Wahnsinns

Es war ein Freitag, als er dem Wahnsinn begegnete. Es ist ein Grauenhaftes Erlebnis, ihn zu sehen, und ein noch grauenvolleres, ihm selbst zu verfallen.

Eisiger Regen fegte durch die Straßen und nahm einige der morschen Holzbretter mit, die den Garten ihrer Großeltern umzäunten. Weiß – Grauer Nebel senkte sich auf das kleine Dorf wie ein Schleier und machte es einem fast unmöglich, etwas bis auf die drei Meter vor sich zu erkennen. Alles verschwamm hinter einer kalten, undurchdringlichen Wand aus herabsenkender Wolken. Hin und wieder zuckte ein Blitz aus der beinahe schwarzen Wolkenschicht heraus und tauchte die Landschaft in ein geisterhaft wirkendes Licht. Donner grollte.
Alina saß an ihrem Fenster und starrte mit leeren Augen hinaus in das Unwirkliche. Ihr Fenster war gekippt. Jedes mal, wenn es donnerte, erwachte sie kurz aus ihrer Trance, in die sie seit Anbeginn des Unwetters versunken war. Aus der gegenüberliegenden Ecke ihres Zimmer ertönte leise Musik. Das Dröhnen, dass von draußen in ihr Zimmer drang, übertönte sie fast vollständig. Es war eine einfache, sich immer wieder wiederholende Melodie. Alina wippte langsam mit der Melodie mit. Ihre Lippen bewegten sich, doch sie sprach nicht. Wieder zuckte ein grell leuchtender Blitz über die Dächer des Dorfes. Ihre dunklen, fast schwarzen Augen spiegelten das Licht. Ihre Haut leuchtete gespenstisch weiß und ihr Körper, der nur noch aus Haut und Knochen bestand, hob und senkte sich langsam zum Rhythmus der Melodie. Alles an ihr wirkte unecht. Langes, schwarz glänzendes Haar fiel über ihre schmalen Schultern bis hinunter zu ihrer Hüfte. Sie hatte nichts an bis auf ein langes, weißes Nachthemd. Die Melodie endete. Ein paar kurze Sekunden war es ganz still, selbst der Sturm draußen schien für einen winzigen Moment zur Ruhe gekommen zu sein, als die Melodie langsam wieder anspielte und gleichzeitig ein lauter Donnerschlag ertönte. In Alinas Augen blitzte kurz etwas auf, ihr Kopf hob sich und sie blickte langsam in deine Richtung. Sie hatte gewusst, dass du da warst. Du standest ganz ruhig auf der anderen Seite ihres Zimmers, direkt neben der Anlage, aus der die Musik drang. Alina musterte dich. Ihre Augen fassten alles langsam auf, und ihr Kopf bewegte sich immer weiter nach unten. Ihr Blick endete bei deinen Füßen. Dort verharrte sie für eine für dich ewig erscheinende Zeit. Du wolltest grade Luft holen, als ein plötzlich erscheinender Blitz dich zusammenzucken lässt. Als du Alina wieder ansiehst, schaut sie direkt in deine Augen. Ihr Blick ist so tief und dunkel, dass du nichts außer Schwärze darin erkennen kannst. Die Starre in ihrem Gesicht verunsichert dich. Du versuchst, ihrem Blick zu entweichen, packst es aber nicht. Deine Ohren beginnen, die Melodie, die seit Ewigkeiten durch dieses Zimmer schleicht, mehr wahrzunehmen. Alinas Lippen beginnen wiederholt, sich langsam zu bewegen. Du weißt, was sie dort tonlos vor sich hin singt. Es ist diese eine grauenhafte Melodie eines einzigen Wortes in der gleichen Tonlage, ein sich immer wiederholendes Wort. La... La... La... La... La...
Der Wahnsinn. Der Gedanke schießt dir durch den Kopf ehe du ihn zurückhalten kannst. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich noch mehr. Dir war klar, dass sie es wusste. Das sie deine Gedanken genau kontrollieren konnte. Wahnsinnige können alles. Panisch schlägst du dir vor den Mund, bis dir einfällt, dass es nur deine Gedanken sind, die durch deinen Kopf hallen. La... La la... La... La...
Du beginnst, ihren Herzschlag wahrzunehmen. Er geht ganz langsam, so langsam, dass du befürchtest, dass er jeden Moment erlöscht. Doch mit der Zeit begann er sich zu verschnellern. Immer lauter und drückender traf dich jeder einzelner Herzschlag wie eine Schallwelle und drückte dich an die Wand hinter dir. Panik erfasst dich. Die Schläge wurden immer drängender, du konntest kaum mehr erfassen wann einer beginnt und aufhört. Du schlugst die Hände vor deine Ohren und begannst zu schreien, laut und schrill. Alina stand auf. Ihre dürren Beine trugen sie nur unsicher. Mechanisch kam sie auf dich zu. Du rutschtest an der Wand hinunter, krabbeltest langsam rückwärts in die Ecke, aus der die Musik ertönte. La... La... La... La... Ihre Lippen formten immer wieder dieses Wort. Alles schien dich zu erschlagen. Die Musik. Ihr Puls. Dieses Wort. Der Donner und der pfeifende Wind draußen. Das Lied des Wahnsinns.
Sie kam immer näher. Dann, ganz plötzlich, blieb sie stehen, nur wenige Zentimeter vor dir. Ewig erscheinende Sekunden verharrte sie so, bis sie, ganz langsam, ihren Kopf zur Seite neigte und dich aus ihren schwarzen Augen heraus anstarrte. Es quälte dich, mehr als alles, was du bisher hattest durchstehen müssen. Vor dir verschwamm die Umgebung, die Zeit schwand. Der Raum begann sich zu bewegen, vorwärts, direkt hinein in ihre Augen. Schwärze umgab dich. Du hörtest nur noch ihren Puls, die leise ertönende Melodie und ihr sich immer wiederholendes La... La... La la...
Dann, ganz plötzlich, war es vorbei. Du fandest dich in ihrem Zimmer wieder. Doch etwas war anders. Du konntest nicht weiter darüber nachdenken, denn dich überkam der drängende Wunsch, dich ans Fenster zu setzten, im Sturm zu versinken und zu singen. Dein Körper bewegte sich auf das Fenster zu, stieg über Alinas leblosen Körper, ihre weit aufgerissenen, strahlend blauen Augen. Du liest dich auf der Fensterbank nieder und begannst, zu singen, während der Wahnsinn in Form von eisiger Dunkelheit durch deine Augen in dich drang und dabei zusah, wie draußen die Welt im eisigen Sturm langsam versank.

Samstag, 8. September 2012

Leblos



Vierter Oktober 1934. Ein Tag, wie ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte.
Meine Freundinnen und ich spielten in unserem kleinen, verwilderten Garten verstecken. Kalter Wind wehte durch mein langes Haar, spielte mit den einzelnen, schwarzen Strähnen. Wir liefen kichernd, kreischend herum, hüpften über das lang gewachsene Gras. Ich sah nach vorne. Ein großer, bunter Laubhaufen von wahrscheinlich mehr als tausenden Blättern türmte sich vor mir auf wie eine festliche Burg. Vollkommen fasziniert rannte ich hinter den Laubhaufen, bis zu unserem Zaun, nahm Anlauf, und sprang mitten hindurch. Der Turm aus Blättern zerbarst auseinander, und schon kurz danach segelten die einzelnen Blätter durch die Luft und landeten auf meinem Kopf. Kichernd lief ich weiter. Der Himmel war grau und doch auf irgendeine Art und Weise einfach wunderschön. „Ich liebe den Herbst!“, flüsterte ich leise vor mir hin. Verträumt blickte ich gen' Himmel, und setzte mich dann zurück in den inzwischen verteilten Laubhaufen. Der Wind wurde kälter und ich zog meinen ausgeleierten Mantel noch mehr zusammen. Als ich aufstehen wollte bemerkte ich etwas hartes unter mir. Es war ein Stein. Nicht gerade groß, eher rund, und ziemlich scharf. Lächelnd nahm ich ihn zwischen meine Finger und warf ihn zur Seite. Dann sah ich den Friedhof. Der Friedhof, der schon immer neben unserem Haus gestanden hatte. Seit ich lebe. Ich starrte auf die kleine Mauer, die ihn umgab.
Ich war wie gefesselt, konnte meinen Blick nicht mehr abwenden.
Motorisch stand ich auf und ging hinüber zu unserem fast zerfallenen Zaun, den mein Großvater nur noch sehr schwer alleine Reparieren konnte. Er war alt, und schon lange Zeit auf unsere Hilfe angewiesen. Seine übrig gebliebenen Kräfte reichten einfach nicht mehr aus. Ich lebte allein mit ihm. Meine Großmutter ist schon lange tot, nur sehr wenige und verschwommene Erinnerungen an sie sind mir zurückgeblieben. Meine Eltern habe ich nie gesehen. Wo sie jetzt sind … und ob sie noch leben, weiß ich nicht.
Ich duckte mich und kletterte in das kleine Loch an der Stelle, wo unser Zaun schon sehr verrostet war. Auf der anderen Seite wieder angekommen, rappelte ich mich auf und lief um die Ecke zum Eingang des Friedhofes. Als ich meine Hand um den alten, verrosteten Riegel des Tores schloss, um es zu öffnen, beschlich mich auf einmal ein mulmiges Gefühl. Kinder durften den Friedhof nicht betreten. Zu viele Gefahren sollten hinter diesem Tor lauern. Was für Gefahren? Ich weiß es nicht. Mein Großvater redet nie darüber. Keiner redet darüber. Es ist wie ein altes, wertvolles Geheimnis, über das keiner wagt zu reden. Plötzlich spürte ich Wärme an meinem Rücken. Wie heiße Flammen, die sich von meinen Beinen aus nach oben züngelten. Als ich die brennende Hitze nicht mehr aushielt, drehte mich mich blitzschnell um. Doch das einzige, was dort zu sehen war, war die alte Eiche, die mir mit ihren Zweigen das Gesicht zerkratze. Ich stöhnte auf und drehte mich wieder zum Tor. Den Riegel hatte ich nicht losgelassen. Ich sah das alte Gemäuer an. Es war nicht sonderlich hoch, vielleicht zwei, drei Meter, doch trotzdem strahlte sie eine Kraft aus, eine Art Schutz für die Gräber. Ich ließ den Riegel los. Das Mulmige Gefühl hatte sich verstärkt. Ich bekam Angst, und wollte zurück in den Garten, doch meine Beine bewegten sich keinen Zentimeter, als hätte man sie angeklebt. Irgendetwas hielt mich auf. Ich warf noch einmal einen Blick auf das Eiserne Tor vor mir. Irgendwie machte es mich traurig. Es waren nicht die verstorbenen. Vielleicht die Engel der Gräber, die kalte Mauer, die der Friedhof umringte? Es war mir nicht klar, aber ich verspürte eine Anziehungskraft. Eine starke Kraft, die mich nach vorne zog, hin zu dem Riegel. Mich ergriff Panik, hatte Angst. Ich wollte schreien, aber meine Stimme war wie ausgelöscht. Meine Hand packte wie von selbst den Riegel. Das war nicht ich! Mit aller Kraft riss ich mich davon los, als würde es um mein Leben gehen. Dann rannte ich mit meinen kleinen, kaputten Stiefeln durch das Laub davon.
Ich keuchte, als ich endlich das kleine Loch in unserem Gartenzaun erreicht hatte. Ich wollte gerade hindurch schlüpfen, als mich etwas starkes von hinten packte. Mein Körper wurde nach hinten gerissen, und schlug hart neben der Friedhofs Mauer auf. Verstohlen rieb ich mir den Schädel. Ich wollte aufstehen und wegrennen, aber mein rechtes Bein tat zu sehr weh. Wahrscheinlich hatte ich es mir beim Aufprall verdreht. Ich stieß einen schmerzvollen Seufzer aus. Von oben hörte ich Gemurmel. Ich verstand nicht, was gesagt wurde. Nur einzelne Wörter drangen zu mir hervor. „wegbringen“ … „Befehl“ … „Schmerzen bereiten ...“
Ich wagte mich keinen Millimeter zu bewegen. Mein Atem ging flach. Eine unbegreifliche  Angst breitete sich in mir aus. Dann spürte ich wieder einen harten Griff in meinem Nacken. Kurze Zeit danach hing mein Körper der Luft. Mit einem mal war meine Stimme wieder da. Ich fing an zu schreien, schrie nach Hilfe, zappelte wie wild, versuchte mich aus dem Griff zu befreien, aber ich hatte keine Chance.
Ein Mann kam von vorne auf mich zu, mit einem Geknoteten Stofftuch in der Hand. Blitzschnell packte er meinen Kopf und zwang mich, das Tuch in den Mund zu nehmen. Ich versuchte weiter zu schreien, aber das Tuch dämpfte alles was aus meiner Kehle drang. Der Mann band das Tuch an meinem Hinterkopf so fest zu, das meine Mundwinkel anfingen zu bluten. Ich wollte weiter schreien, doch mir ging die Kraft dazu aus. Insgeheim hoffte ich, das einfach mein Großvater aus der Haustür gesprungen käme, und mich holen würde … oder das alles einfach nur ein Traum wäre. Aber es fühlte sich so echt an, dass ich schnell den Glauben daran verlor einfach aufzuwachen. Ich spürte, wie sich die Gestalt, die mich hochgezogen hatte, bewegte. Mit tränenden Augen sah ich nur noch wie die vertraute Umgebung hinter zwei riesigen Türen verschwand. Dann war es dunkel.

Wasser. Es tropft. Von der Decke.
'Pitsch. Patsch. Pitsch. Patsch'
Ich spürte, wie mir dir Kälte in die Beine kroch, die abgemagert auf dem kalten Boden zu zittern anfingen. Ich zog die Knie an mein Kinn und versuchte mich irgendwie warm zu halten, doch fast zu schnell begriff ich, dass es nicht funktionieren würde. Ich rollte mich auf dem Boden zusammen und begann zu wimmern.
Mein Blick schweifte durch den abgedunkelten Raum, fing sich an der Wand an der ich immer schlief. In sie waren Kerben geritzt.
Ich hatte für jeden Tag den ich nun hier war mit meinem Fingernagel eine neue Kerbe hinein gekratzt. Im schwachen Licht begann ich zu zählen. Die einzelnen Zahlen gingen mir durch den Kopf, je weiter ich kam desto mehr schmerzte er mir.
'15'.
Ob es überhaupt 15 Tage waren? .. Ich hatte jegliches Zeitgefühl schon lange verloren. Nur an das Knarren der Tür, wenn Hannes jeden Morgen raus geführt wird, konnte ich mich orientieren … wenn  es da überhaupt morgen war ...
Schon nach kurzer Zeit sah ich den Rhythmus, in dem wir alle nach der Reihe drankamen.
Erst Hannes, dann Marie, Hannelore, Friedrich, ich, Annabelle und Richard.

Ich hatte Hunger. Mein Magen tat weh.
Ich drehte mich um und schrie auf.
Mein Körper schnellte hoch und ich fasste mir mit der Hand an den Rücken. Ich spürte Blut.
Sie war wieder aufgeplatzt. Ich begann zu weinen und versuchte, den Schmerz zu ertragen.
Was sie wohl heute mit mir anstellen werden?
Ich lauschte den durchgedrehten Schreien von Marie, und verzog mich in die hinterste Ecke meiner Zelle.
Ich spürte wie das Blut meinen Rücken hinunter lief und muss mich schütteln.
Eine Zelle weiter hörte ich das Schluchzen von Hannes.
Ich wünschte ich könnte ihn umarmen und sagen das alles gut wird, ich wünschte ich könnte hier weg …
Marie brach durch die Tür. Ein Mann zog sie schroff zu ihrer Zelle und warf sie unachtsam in die Ecke als wäre sie ein Gegenstand. Leblos.
Der Mann wandte sich zügig zu der Tür. An meiner Zelle blieb er plötzlich stehen.
„Steh auf!“ Ich kauerte weiter in meiner Ecke. „STEH AUF!“ Der beißende Ton in seiner Stimme rappelte mich hoch. Ich zuckte zurück zur Wand und klammerte mich an sie so gut es ging.
„Ts. Ts. Ts.“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Komm her.“ Langsam schlich ich mich nach vorne. In Reichweite packte mich der Mann am Hemd und zog mich nach vorne. Sein Blick schweifte über mein angsterfülltes Gesicht  und blieb an einer blutigen Stelle des dünnen, grau – weißen Hemdes hängen. Er schaute mir in die Augen. Ich drehte mein Gesicht weg zu Seite. „Hast du genug?“ Ich kniff die Augen zusammen. Der Mann packte meinen Kopf und rüttelte mich bis ich mit einem Schrei die Augen aufriss. „MILENA! Hast du GENUG?“ Ich starrte ihm in Augen, tränen schlichen über meine Augen.
Er sah mich an und schlug mir ins Gesicht. Ich taumelte zurück und knallte mit dem Kopf gegen die Wand. Mein Körper rutschte zuckend nach unten. Ich spürte nichts mehr. Nur den brennenden Schmerz auf meiner Wange.
Vor mir schlug die Tür zu.

Während Hannelore und Friedrich verschwanden, krabbelte ich zurück in die Ecke.
Meine Angst wuchs.
Nach einer halben Ewigkeit, ich hätte alles getan, damit es noch länger gedauert hätte, kam Friedrich winselnd zurück.
Ich wartete auf Hannelore.
Sie kam nicht mehr.

Ich weiß nicht, was ich heute erwarten soll.
Ob sie meinem Rücken noch mehr schaden werden?
Vorsichtig fasste ich mir an die aufgeplatzte Wunde und musste feststellen, dass sie immer noch blutete.
Die alte Eisentür wurde aufgezogen und meine Zelle aufgeschlossen.
Auch wenn ich wusste, dass es nichts brachte, klammerte ich mich an den Boden und versuchte, mich nicht losreißen zu lassen.
Doch ehe ich mich orientieren konnte schleifte man mich aus der Zelle.
Ich schrie und versuchte mich so zu wenden dass der Mann, der mich hinter sich her schleifte, seine Hände drehen musste.
Nach fünf Minuten vergebenem Kampfes kam ich zu dem Entschluss, dass es tatsächlich Menschen geben musste, die keinen Schmerz kennen.
Nach Zehn Minuten war ich zu schwach, um mich noch weiter zu wehren und ließ ich widerstandslos in die Halle ziehen.
Ich spürte Blut an meinem Körper. Fremdes Blut.
Gedanken schossen mir in den Kopf.
Ob … ob das … ob das Hannelores Blut ist?
Ich schüttelte meinen Kopf um die Gedanken loszuwerden.

Man ließ mich los.
Ich prallte mit dem Rücken auf und stöhnte.
Ich versuchte mich aufzurichten, vergeblich.
Die Wunde an meinem Rücken brannte zu sehr.
Ich atmete Stoßweise, versuchte mich zu beruhigen und den Schmerz zu ignorieren.
Doch kaum konnte ich einen auch nur einen Moment klar denken, wusste ich,  jetzt beginnen sie.
Es ist als ob diese Männer Gedanken lesen könnten.
Ein Schlag traf mich am Nacken. Ich schrie auf.
Ein zweiter traf mich auf der Wunde, der Schmerz war so stark, dass mir die Luft wegblieb.
Noch mehr Schläge kamen. Ich wusste nicht mit was  sie mir wehtaten, ich wollte es auch nicht wissen.
Ich spürte dass sich nun auch der Rest meines Hemdes verfärbte.
Ich sah das dunkelrote Blut schon an den Seiten hervor laufen.
Mir würde übel, ich hätte am liebsten einfach nur gebrochen.
Ein starker Schlag traf mich am Hals, ich schrie, schrie nur noch, laut und schrill.
Ich stützte mich mit den Händen vom Boden ab, kniff die Augen zusammen, mir war schwindelig.
Mein Kopf fühlte sich komisch hohl an.
Ein weiterer Schlag. Das peitschende Geräusch, immer, wenn man mich traf, brachte mein Trommelfell fast zum platzen.
Ich hielt mir die Ohren zu, mein Körper zuckte beim nächsten Schlag zusammen, ich schrie erneut.
Alles drehte sich. Unter mir war alles rot.
Noch ein Schlag. Er war stärker als die vorherigen. Ich riss die Augen auf, verschwommen versuchte ich meine Umgebung wahrzunehmen.
Danach war alles vorbei. Ich weinte. Ich weinte bitterlich.
Das „Sie hat genug.“ nahm ich nicht mehr wahr.
Einer der Männer packte mich am Kragen und zog mich schroff mit sich aus der Halle, ich hörte nicht auf zu weinen, zu kreischen, alles tat mir weh, ich wollte nur, dass es aufhörte.
Ich bemerkte, wie man eine Zelle aufschloss, ich hineingeworfen wurde und das Tor wieder mit einem Rappeln zugeworfen wurde.
Mein Körper landete hart.
Ich stand nicht mehr auf.
Ich blieb liegen. Halb bewusstlos. Wimmernd. Weinend.
Unter mir verfärbte sich der Boden.

Ein grauer Herbsttag. Blätter stapeln sich in einem kleinem verwilderten Garten.
Das Haus, dass zu dem Garten gehört, sieht alt und zerbrechlich aus.
Ein Zaun aus morschem Holz erstreckt sich in alle Richtungen. Ein alter Mann steht leicht gebückt an einem Ende des Zauns und versucht mit seinen zittrigen Händen den Draht, der den  Zaun mit einem Rohr vom Haus verbindet, fester zu ziehen. Der Mann kommt dir bekannt vor, selbst sein Husten und Ächzen, wenn er versucht sich wieder gerade aufzurichten.
Dein Blick schweift durch den Garten. Auch er kommt dir bekannt vor.
Selbst die großen Blätterhaufen aus Grün – Braunfarbenem Laub scheinst du schon einmal gesehen zu haben. Du gehst ein Stück. Der Wind spielt mit deinen Haaren.
Du hörst Gekicher. Kinder, die lachen. Erst jetzt, wie du hörst, wie lebensfröhlich diese Kinder klingen, fällt dir auf, wie sehr du das Gefühl vermisst hast, als du nicht lachen konntest.
Plötzlich kommt ein kleines Mädchen hinter einem Busch hervor. Es sieht in deine Augen, aber du bekommst das komische Gefühl, dass sie dich gar
nicht richtig registriert.
Als das Mädchen auf einmal laut kichernd auf dich zu rennt, weichst du ein paar Schritte zurück.
„Halt, bleib doch stehen!“ Du wolltest dem Kind ausweichen, doch zu spät. Du siehst das kleine Mädchen vor dir, wie es direkt auf deinen Bauch zusteuert.
Du kneifst die Augen zusammen und denkst an den Schmerz, der in dich dringen würde, wenn das Mädchen mit dir zusammenstößt.
Es kommt nichts. Nicht mal ein kleiner, dumpfer Aufprall.

Aber du spürst etwas anderes. Es ist, als wäre das Lachen des Mädchens in dich hinein gedrungen.
Dich erfüllt ein Gefühl von Sicherheit. Du spürst das Lachen des Mädchens, das Kichern und jede einzelne  Bewegung, die sie tut. … aber warum?
Du siehst an dir herunter und stockst, erkennst noch grade Rechtzeitig ihre kleinen Beinchen, bevor ihr ganzer Körper restlos in deinem verschwindet.
Du wirst unruhig, trittst von einem Fuß auf den Anderen. Angst überkommt dich.
An der Stelle, durch die das Mädchen grade in dir verschwunden war, bildet sich ein Loch.
Du bist dir sicher, würdest du mit deinem Kopf weit genug runter gehen können, könntest du geradewegs hindurch schauen. Dein Blick schweift verzweifelt durch den Garten, auf der Suche nach Hilfe. Plötzlich hörst du hinter deinem Rücken wieder das Lachen des Mädchens. Das Gefühl, dass sich das Kind in deinem Körper befindet, verschwindet genauso schnell wie es gekommen war. Blitzartig drehst du dich um. Das Mädchen hüpft mit dem Rücken zu dir gedreht davon und rennt um die Ecke des Hauses
Du spürst ein Kribbeln an deinem Rücken. Du drehst deinen Kopf  nach hinten. Bei diesem Anblick bleibt dir fast der Atem weg. Hinter deinem Rücken, an der Stelle, an der das Mädchen wieder aus deinem Körper gelaufen zu sein scheint, leuchten einige schimmernde, blass – leuchtende Streifen aus goldener Farbe auf. Der Wind lässt sie sanft im Wind schweben. Du schaust an deinem Bauch herunter und siehst, dass dort dasselbe vor sich geht.
Du musst lächeln, siehst zu, wie sich die einzelnen Lichtstreifen wieder in deinen Körper zurückziehen, wie das Loch von Sekunde zu Sekunde kleiner wird.
Als nur noch ein kleiner, blasser Lichttunnel übrigbleibt, spürst du plötzlich, dass die Umgebung um dich herum kälter wird. Mit einem kleinen Aufblitzen schließt sich die letzte Öffnung in deinem Bauch. Ein kalter Windhauch bläst durch dein schwarzes Haar, graue Wolken ziehen auf.
Du willst zurück zu der Stelle, an der du dich hier im Garten gefunden hattest.
Dein Kopf will dich nach vorne treiben, dein Körper lässt es nicht zu. Er zieht dich zurück.
Hinter dir hörst ein leises Rascheln. Dein Körper dreht sich um.
Du siehst einen Jungen. Er ist sehr dünn, trägt nicht mehr als ein langes Hemd.
Kalte, ängstliche Erinnerungen kriechen in deinen Beine, von denen du nicht weißt, woher sie kommen. Seine Beine zittern stark, als du genauer hinsiehst,bemerkst du, dass er weint.
Du kennst diesen Jungen, du erkennst seine Locken, sein Gesicht, seine Augen … nur .. woher?
Du kramst in deinen Erinnerungen, findest keine Antwort.
Er wendet sich an einen der Bäume, die, im Garten verteilt, an verschiedenen Stellen wachsen.
Der Baum, den er sich gerade ansieht, ist kahl. Man kann mit der Hand keinen Ast fassen, alle sind zu hoch. Der Junge schüttelt leicht den Kopf und geht weiter. Erst jetzt bemerkst du das Seil in seiner Hand. Du fragst dich, was er wohl damit vor hat.
Er geht noch an einigen Bäumen vorbei, sieht sie sich an. Bei allen schüttelt er den Kopf
Dir fällt auf, dass die Bäume alle zu hohe Äste haben, um sie erreichen zu können.
Ein mulmiges Gefühl durchschleicht deinen Magen.
Als der Junge um die Ecke verschwindet, kommt dein Körper mit. Du versuchst mit voller Panik Kehrtwende zu machen, willst dem Jungen nicht hinterher gehen.
Aber dein Körper lässt sich nicht beirren und geht weiter den Weg um die Ecke des alten, zerbrechlichen Hauses.
Den Baum, den du hier siehst, wirkt viel lebendiger als alle anderen.
Er sieht neben der sonst so trostlosen Landschaft schon fast unecht aus.
Der Junge hat sich neben dem Baum niedergelassen.
Über seine Wangen laufen Tränen, er zittert.
Sein Blick wandert nach oben zu einem der Äste, er ist groß und wirkt, als halte er viel aus.
Der Junge steht auf. Geschickt klettert er über die alte Rinde bis hin zu dem Ast, tritt vorsichtig auf, prüft, ob er sein Gewicht aushält.
Der Ast knarrte kurz, du kneifst die Augen zu, doch der Ast schien zu halten.
Du öffnest die Augen wieder.
Er hält das Seil in der Hand und schlingt es über den Ast auf dem er steht.
Bevor er einen Knoten um den Ast schlingt, setzt er sich rittlings auf den Ast, um nicht zu fallen.
Du beobachtest ihn, siehst, wie fest er den Knoten bindet.
Der Junge steht wieder auf. Seine Locken wirken zerzaust, seine Augen rot verweint.
Er stellt sich gerade hin und flüstert etwas. Du kannst es nicht hören.
Vorsichtig nimmt er das Seil und Bindet mit einem geschickten Knoten das Seilende zu einem Kreis. Er prüft genauestens, ob sich das Seil auf – und zuziehen lässt.
Eine schlimme Befürchtung überkommt dich.
Schnell versuchst du den Abstand zwischen Ast und Boden zu ermessen, du bist dir sicher, dass er größer ist als der Junge selbst.
Dein Verdacht auf das Schlimmste bestätigt sich, als du siehst, wie sich der Junge das Seil um den Hals schlingt. Du siehst die Angst in seinen Augen.
Du holst tief Luft, du willst nicht, dass er sich das antut!
„Halt, nein., tu das nicht! BITTE!“ Du rennst auf den Jungen zu.
Er schließt die Augen, flüstert erneut etwas und fällt, vor dir wird alles schwarz.
„NEIN, HANNES! NEIN, TU DAS NICHT! NEIN!“
Ich wälzte mich auf dem Boden, trat um mich.
Mit einem angsterfülltem Schrei wachte ich auf.
Ich schwitzte, mein Hemd war durchnässt. Ich versuchte, mich abzuregen, zu beruhigen.
Mein Atem ging schnell, schon fast stoßweiße. Alles drehte sich, mir war schwindelig. Ich lauschte der Wand gegenüber, versuchte verzweifelt zu hören, ob Hannes dort schlief, hörte aber nichts.
Ich hatte Angst, wollte seinen Namen schreien, kam nicht dazu. Mein Mund war ausgetrocknet, ich hustete Staub. 

Ewige Stunden ging es weiter, so wie es jedes Mal war.
Schmerzen ertragen, leiden, versuchen in eine Traumwelt zu versinken, aus der man niemals mehr erwacht. Die Kerben an meiner Wand wurden immer mehr, obwohl ich mich sicher war dass mein kläglicher Versuch, die Tage so schneller verstreichen zu lassen, rein gar nichts brachte.
Seit ich von Hannes Tod träumte, hörte ich nichts mehr von ihm. Jeden Tag klopfte ich wie gewöhnlich leise an die Wand und er hatte immer nach exakt 15 Sekunden zurück geklopft. Es hatte mir immer geholfen. Auch wenn wir nie geredet haben, gab es mir das Wissen, dass ich nicht allein war. Doch schon seit längerer Zeit regte sich nichts mehr. Ich machte mir Sorgen um ihn, kauerte zu jedem möglichem Zeitpunkt an der Wand zwischen ihm und mir und sendete leise Klopfzeichen. Ich wollte seinen Namen rufen, traute mich nicht. Wartete nur. Wartete. Auf ein Zeichen. Irgendwas.


Etwas war anders.
Ich lehnte an einer Wand meiner Zelle und kratze mit meinem Fingernagel kleine Muster in den Boden. Mein Hals kratzte und ich musste Husten. Das ächzende Geräusch durchbrach für einen ewig erscheinenden Augenblick die ungewöhnliche Stille, die seit Stunden schon vorhanden zu sein schien. Ich kannte das nicht mehr. Immer hatte man Geschreie, Schläge, das leiden anderer mit anhören müssen. Doch jetzt … selbst das Geflüster hinter den beiden großen Stahltüren, durch die man uns jeden Morgen zerrte, war verschwunden. Es war Still. Totenstill.
Ich wendete den Blick vom Boden ab, den jetzt zahlreiche Blumen und kleine Herzen zierten, und hob meinen Kopf langsam Richtung Zellentür. Meine Augen sahen nur undeutlich die Umriss der einzelnen Gitterstäbe. Ich versuchte, mich aufzurichten. Schwindel packte mich und ich stützte mich an der kalten Wand ab. Minutenlang verharrte ich so, bis sich Umgebung langsam wieder klärte und ich mich gerade aufrichten konnte. Meine kleinen, dürren Beinchen konnten mein Gewicht kaum halten, trotz dass ich schon so abgemagert war. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den nächsten, immer möglichst nah an einer Wand, um mich abstützen zu können. Ich hatte so viel Kraft verloren. Nahe genug an der Zellentür angekommen, zog ich mich mit meinen knochigen Armen an die Gitterstäbe und versuchte, in der kalten Dunkelheit etwas zu erkennen. Mein Blick schweifte durch den Raum, suchte nach den anderen Gefangenen in ihren Zellen. Ich sah sie nicht direkt, doch ich erkannte auf dem Boden kleine, zusammengezogene Schatten, die mir zeigten, dass sie, genau wie ich, nicht genug Kraft hatten, um es sich leisten zu können, nach Hilfe zu schreien oder zu versuchen zu fliehen. Ich merkte, wie mich wieder ein Anflug von Schwindel überfiel. Schnell klammerte ich mich an das Gitter, doch meine Füße verloren an Halt und ich rutschte nach unten. Meine Hände ließen die rauen Stäbe los und ich schlug hart auf dem Boden auf. Mein Rücken schrammte an der Wand entlang. Schmerz durchflutete meinen Körper. Ich presste meine Lippen zusammen.Wieder spürte ich, wie das Blut meinen Rücken hinunterlief. Zitternd schlang ich die Arme um meine Knie und begann zu wimmern. Es war so leise und unscheinbar, und doch hörte man es deutlich durch den Raum hallen. Tränen quollen aus meinen Augen hervor, meine Sicht verschwamm augenblicklich. Dann hörte ich etwas. Es durchbrach die Stille um mich herum so plötzlich, das mir für einen kurzen Augenblick die Luft wegblieb. Mein Körper erstarrte, und das feine Wimmern, das vor ein Sekunden noch über meine Lippen schlich, erstarb.
Ich hörte Schritte, jemand schrie. Es war ein Mädchen.Sie musste noch sehr jung sein, doch es lag eine solche Wut und eine Kraft in ihrer Stimme, die einen eiskalten Schauder durch meinen Körper jagte. Das Kreischen wurde lauter. Ich merkte, wie auch die anderen in ihren Zellen nervös wurden. Dann wurde die Tür aufgestoßen. Licht brach durch die Dunkelheit, ich bedeckte mit meinen Händen meine Augen, um sie vor der grellen Helligkeit zu schützen. Trotz, dass die beiden Eisentüren sperrangelweit offen standen, kam keiner herein. Meine Augen gewöhnten sich langsam an das Licht und ich richtete meinen Kopf vorsichtig zum Tor. Drei Gestalten kamen langsam näher. Die beiden äußeren waren zweifellos von hier. Ich versuchte, mich zurück zu meiner Wand zu stehlen, doch meine Beine gaben einfach unter mir nach. Ich knallte vorneweg gegen das Gitter. Laut hallte das Knarren durch den kleinen Raum, verlor sich nach ewig erscheinender Zeit im lichtdurchfluteten Tor. Die drei Gestalten traten durch die zwei offenstehenden Türen. Ich betrachtete das sich windende und kreischende Bündel in der Mitte. Die beiden Männer hatten sie fest gepackt, doch trotzdem konnte ich genau erkennen, das sie nur mühsam vorankamen. Die beiden Männer steuerten direkt auf meine Zelle zu. Ängstlich zog ich mich zurück in die dunkelste Ecke. Das Schreien des Mädchens war jetzt so laut, dass ich mir reflexartig die Ohren zuhielt. Trotzdem hörte ich leise das vertraute Klimpern der Schlüssel. Ich hielt den Atem an und betete zu Gott. Was haben sie nur vor? Die Tür zu meiner Zelle wurde aufgeschoben. Ich spürte, wie mit einem Ruck jemand hinein gestoßen wurde. Ich kauerte mich noch mehr zusammen. Mit einem Knall fiel die Tür wieder ins Schloss. Schritte entfernten sich und zusammen mit der wohlbekannten Panik trat auch die Finsternis wieder zurück in mein Leben.

Keuchen. Ich wagte mich keinen Millimeter zu bewegen. Vor mir bewegte sich etwas. Ich hörte schlagartig auf zu atmen. Mein Blick huschte verzweifelt hin – und her. Das Mädchen richtete sich auf. Durch die wenigen Lichtstrahlen, die sich durch die abgedunkelten, winzigen Schlitze gegenüber meiner Zelle zwängen konnten, erschien vor mir der Umriss einen kleinen, zerzausten Haarschopfes. Ihr Haar glänzte rötlich. Es hing ihr in langen, einzelnen Strähnchen über die Schultern. Ich neigte ganz vorsichtig, fast unmerklich den Kopf, um ihr Gesicht zu studieren. In der Dunkelheit erkannte ich nicht viel. Ihre Augen waren hell, wirkten beinahe unecht. Ich sah genauer hin. Ein Blau- Grünlicher Schimmer schlug mir entgegen. Ich hatte noch nie eine so schöne Augenfarbe erblickt. Ich betrachtete sie weiter. Ihre kleine Stupsnase passte perfekt in ihr Gesicht. Mein Blick fiel auf ihren Mund. Dunkelrot leuchtend, volle Lippen. Sie ist wunderschön, ging es mir durch den Kopf. Ihr Körper, soweit ich erkennen konnte, war zierlich und schlank. Wieder übernahmen meine Gedanken die Kontrolle. Bist du dir sicher, dass das eben das Mädchen war? Ich schüttelte wie von selbst den Kopf. Was hatte dieses Bildhübsche Mädchen hier zu suchen? Ich atmete aus. Plötzlich schlug der Kopf des Mädchens in meine Richtung. Sie sah in meine Augen. Ich erstarrte. Ihr Blick war eisig und Gefühlslos. Ewig lang schien sie mich zu betrachten. Ich zwang mich, auch ihr in die Augen zu sehen. Hörbar atmete sie aus. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Warten, bis sie sich abwendete? Auf sie zukommen? Dass sie mich so ansah, machte mich nervös. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und vergrub meine Fingernägel in meiner Haut. Schließlich nahm ich mich zusammen, holte tief Luft und beugte meinen Kopf langsam nach vorne zu ihr hin. Kaum konnte ich realisieren was eigentlich passierte, stürzte sie mit einen Schrei auf mich zu und verpasste mir einen Schlag mitten ins Gesicht. Der Schock überkam mich erst Sekunden nach dem Schlag. Ich kippte rückwärts um, versuchte mich aufzustützen, doch das Mädchen war schneller. Sie fasste meine Hände und feuerte mich in die Mitte des Raums. Total verängstigt über die Kraft von ihr versuchte ich, mich in eine Ecke zu retten. Doch wieder kam sie mir zuvor. Ich spürte fünf oder sechs Tritte im Bauch. Mein Magen drehte sich um, ich musste würgen. Ich spürte, wie sie mich an meinen Haaren fasste und mich hochzog. Unvorstellbarer Schmerz zog sich durch mein Gesicht bis zu meinen Nacken. Ich wollte schreien, doch bis auf ein heißeres Krächzen kam nichts aus meiner Kehle. Ich schlug wieder auf dem Boden auf. Schläge und Tritte prasselten auf mich nieder wie regen. Ich rollte schützend meine Arme vors Gesicht, Tränen strömten über meine Wangen. Ein Schlag traf mich am Hinterkopf. Alles wurde dunkel.

Dröhnen. Ich öffnete vorsichtig meine Augen. Die zwei Bilder meiner Augen überlappten sich mehrmals, ehe sie zu einem verschmolzen. Es war ruhig. Was war eben passiert? Ich versuchte, mich an etwas zu erinnern, doch jedes mal schwanden die Erinnerungen nach Sekundenbruchteilen. An meinem Hinterkopf schmerzte es. Ich tastete mit meiner Hand meinen Schädel ab und bemerkte einen dicke Beule. Augenblicklich zuckte ich zusammen. Ich richtete mich etwas auf und sah mich um. Mattes Licht, es war kaum etwas zu erkennen. Mein Blick fiel auf die Wand, in die ich meine Kerben geritzt hatte. Plötzlich blieben meine Augen an etwas hängen. Ein kleiner, unförmiger Klumpen hockte angelehnt an dem rauen Stein. Die Erinnerungen schossen zurück in meinen Kopf. Ruckartig schreckte ich zurück und zog sofort die Arme über meinen Kopf, um mich zu schützen. Ich machte mich so klein wie möglich und blieb still, wagte es kaum, zu atmen. Ich wartete. Wartete. Wartete. Nichts geschah. Langsam öffnete ich einen Spalt zwischen meinen Fingern und spähte hindurch. Ich hatte erwartet dass dieses kleine Monster gleich wieder auf mich zugestürzt kam, doch es blieb still. Ich öffnete meine Finger ein Stück weiter. Da saß sie. Ihre Blau Grünen Augen waren geschlossen. Rhythmisch zupfte sie an ihrer zerrissenen Hose. Ich versuchte zu erkennen, an was sie wohl dachte. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Regung. „Ich weiß, dass du mich anstarrst.“ Meine Augen weiteten sich erschrocken. „Schau nicht so blöd.“ Ich bewegte meine Hände zum Boden. „Magst du mir nicht antworten?“ Sie öffnete ihre Augen und musterte mich. Dann fing sie plötzlich an zu lachen. Es klang unecht in der Trostlosigkeit, die hier herrschte. „Was hockst du da eigentlich in deiner Ecke? Komm endlich her.“ Ich blieb stumm, traute mich nicht, näher heran zu treten. „Gut, wenn du nicht kommst, komm ich eben.“ Ich zuckte, als sie langsam auf mich zukam. Meine Augen flogen Hilfesuchend umher. Dann stand sie auf einmal direkt vor mir. Ihr Blick war kalt. Ich versuchte, mich noch näher an die Wand zu ziehen. „Jetzt hab dich mal nicht so. Ich beiße nicht.“ Mir entfloh ein kleiner, vorwurfsvoller Blick, den ich sofort bereute. Die Augen des Mädchens verfinsterten sich. „Pass mal auf,“ knurrte sie. „Seit ich klein bin, wurde ich geschlagen, misshandelt und gefoltert. Ich musste einiges wegstecken. Ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten ohne den Leuten zu zeigen, dass auch ich, nicht mehr als ein kleines, unschuldiges Mädchen, mehr drauf habe als nur zu häkeln und zu kochen. Ich bin eine der wenigen die gelernt haben, sich zu wehren. Dass ich dich eben so ...“ Sie stutzte kurz. „Dass ich dir eben so wehgetan habe, lag nicht daran, dass es mir Spaß machte. Ich wollte dir nur klarmachen, dass man mit mir nicht spielt. Nie wieder.“ Sie setzte sich neben mich. „Verstehst du mich?“ Ich senkte den Blick. „Sieh mich doch an!“ Sie packte meinen Arm und drückte mein Gesicht in ihre Richtung. „Sehe ich aus wie jemand, der wüsste, wie man sich wehrt?“ Ich schaute in ihre Augen, studierte ihre feinen Wangenknochen. Vorsichtig schüttelte ich den Kopf. „Siehst du.“ Sie kratzte mit ihren Fingernägeln den Boden auf. „Das meine ich.“ Ich sagte nichts. Sie seufzte. „Magst du mir wenigstens deinen Namen verraten?“ Ich atmete hörbar aus. Mein Kopf tat weh. Das Mädchen sah mich eindringlich an. Fünf Minutenlang geschah gar nichts. Dann schüttelte sie den Kopf, stand auf, drehte sich um und bewegte sich langsam wieder zur anderen Seite der Zelle. „Milena.“ Meine Stimme war dünn und heiser. Ich musste husten. Das Mädchen stockte. Langsam drehte sie sich wieder zu mir um. Sie betrachtete mich lange. „Hannah.“ Sie lächelte leicht. Ich wollte zurück lächeln, doch es kam nur eine verzerrte Grimasse heraus. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie lange ich schon hier war. Und wann ich dass letzte mal jemanden hatte lächeln sehen. In mir kamen alte Erinnerungen hoch. Ein kalter Herbsttag. Riesige Blättertürme. Der Friedhof. Das Gefühl, als mein damaliges Leben hinter zwei riesigen Stahltüren verschwand. Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Die Tränen kamen einfach. Ehe ich mich versah, lag ich schluchzend in Hannahs Armen und lies all das raus, was so viele Wochen in meinem Herzen gefangen gewesen war.

Die Zeit verflog. Hannah und ich redeten oft über unsere Vergangenheit. Ich erzählte ihr von meinem Großvater, wie wir zusammen den alten Zaun gestrichen haben und er immer mit mir und meinen Freundinnen im Garten Verstecken gespielt hatte.
Hannes antwortete wieder. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich nach langer Zeit wieder einmal versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, wie gewohnt leise an die Wand zwischen ihm und mir geklopft hatte, und er nach exakt 15 Sekunden dasselbe tat.
Seit Monaten hatte ich das erste Mal wieder richtig gelächelt.

Hannah war ein starkes Mädchen, dass bemerkte ich schon in den ersten Tagen, die wir gemeinsam in meiner Zelle verbrachten. Jedes Mal, wenn man sie  wegführte, wehrte sie sich bis zum Ende. Sie biss, schlug, trat nach den Männern und schrie, als stünde sie in Flammen. Ich bewunderte sie. Meine kläglichen Versuche, mich wimmernd am Boden festzukrallen, wenn sie mich holten, betrachtete sie verstohlen mit einem schelmischen Grinsen. Sie hatte es bisher noch nicht geschafft, den Männern zu entkommen, doch jedes Mal, wenn man sie wiederbrachte, kämpfte sie immer noch um ihre Freiheit. Es war ihr egal, ob sie blutete oder Schmerzen hatte. Sie wollte nur hier raus. Seit sie das erste Mal mit mir redete, hatte sie immer wieder davon erzählt und geschworen, dass sie es eines Tages schaffen würde. Ich wünschte, ich hätte ihre Willenskraft.

Hannah weckte mich. Es war stockdüster. Draußen musste es noch dunkel sein. Ich murmelte etwas unverständliches vor mich und streckte mich auf dem kalten Boden. Sie rüttelte an meiner Schulter. „Was ist denn?“ flüsterte ich vor mich hin. „Milena, ich hab einen Plan.“ Ich war sofort hellwach. „Was?“ Ich starrte sie erschrocken an. Hannah sah mich an. „Ich hab einen Plan,“ wiederholte sie. „Er wird dich wieder in die Freiheit bringen.“ Langsam begann ich meinen Kopf zu schütteln. „Nein,“ rief ich. „Nicht so laut!“ Hannah zerrte an meinem Hemd, legte einen Finger auf ihre Lippen und sah sich vorsichtig um.  „Nein Hannah, das wird nichts werden. Nein, nein ...“ „Milena.“ Sie lächelte sanft. „Ich werde immer um unsere Freiheit kämpfen. Du kannst mir nichts verbieten. Wir werden nicht beide freikommen.“ Sie schluckte kurz und sprach weiter. „Aber ich habe mir geschworen,vom ersten Moment an dem ich dich hier gesehen habe, dass ich dafür kämpfen werde, dass du frei kommst. Du gehörst hier nicht hin, Milena.“ Tränen sammelten sich in meinen Augen. „Hannah, dass kannst du, dass musst du doch nicht – Hier gehört keiner hin.“ „Da hast du recht, aber ein Mädchen wie du, Milena, dass innerlich so zerbrechlich ist, das muss hier weg. Ich will nicht, dass dein Leben hier endet. Ich werde dich hier raus bringen, selbst wenn ich mein Leben dafür geben muss.“ Ich starrte sie an., unfähig etwas zu sagen. Sie würde wirklich ihr Leben für mich geben? Wieder und wieder schüttelte ich ungläubig den Kopf. „Hey.“ Hannah sah mich an. „Hör mir erst Mal zu.“ Sie lächelte. „Morgen, wenn sie unsere Zelle aufschließen, um mich zu holen, werde ich mich an ihnen vorbei aus der Zelle schleichen und sie so aus dem Raum locken. Wenn sie mir hinterherrennen, werden sie die Zelle wieder zuschieben.“ Sie sah mich eindringlich an. „Milena, das ist jetzt ganz wichtig, ich muss dir da vertrauen!“ Nach ein paar Sekunden nickte ich. In meinem Magen herrschte ein schlechtes Gefühl, aber ich versuchte es zu ignorieren. „Wenn sie die Zellentür wieder zuschieben, musst du dafür sorgen, dass sie offenbleibt.“ „Und wie?“ fragte ich. „Du legst dich seitlich neben das Tor, so das dein Körper im Dunkeln ist. Wenn er das Gitter wieder zuzieht, greifst mit der Hand danach, lässt es leise zum Ende gleiten, lässt es aber nicht zuschnappen. Wenn der Typ aus dem Raum raus ist, dann zieh die Tür wieder auf und verschwinde!“ Ich antwortete nicht. „Hast du mich gehört? Als die mich hierher brachten, hatte ich keine Augenbinde auf gehabt, hinter diesen beiden riesigen Stahltoren stehen keine Wachen! Flieh, so schnell du kannst! Lass dich von nichts aufhalten! Renne einfach immer grade aus, bis zu dem großen Roten Tor. Dann bist du frei.“ Ich versuchte, ruhig zu atmen. „Hannah,“ setzte ich an „Das .. das ist absolut wahnsinnig!“ Hannah schüttelte den Kopf. „Es wird gutgehen. Da bin ich mir sicher. Wenn du genau das machst, was ich dir grade gesagt habe, dann schaffst du das! Ich muss dir nur vertrauen können.“ Lange Zeit blieb es still. Ich atmete aus. „Du kannst mir vertrauen.“ Hannah lächelte mich an und nahm mich in den Arm. „Morgen wird alles gut, Milena.“

In der folgenden Nacht träumte ich schlecht. Mehrmals wachte ich auf und spürte, dass mir Tränen der Angst über die Wangen rannen. Würde alles gutgehen? Ich dachte lange darüber nach, obwohl mir bewusst war, dass es nur alles schlimmer machte. Dann, ehe ich mich versah, schienen die ersten matten Sonnenstrahlen durch die abgedunkelten Fenster.
Alles, was ich seit Sonnenaufgang erlebte, nahm ich nicht großartig wahr. Um mich herum schien die Welt in Zeitraffer zu verlaufen. Obwohl mir Hannah jedes Mal zulächelte, wurde das schlechte Gefühl in meinen Magen schlimmer.

„Geht es dir gut?“ fragte mich Hannah mit besorgter Miene. Ich schluckte den Klos, der sich in meiner Kehle festgesetzt hatte, herunter und bemühe mich, zu nicken. „Es wird schon alles gutgehen, denk nur an das, was ich gesagt habe.“ Ich versuchte zu lächeln. Hannah umarmte mich. „Egal was passiert, ich will, dass du freikommst.“

Wir hörten Schritte näher kommen. Ich verkroch mich in die Dunkle Nische zwischen Wand und Zellentür, meinen linken Arm griffbereit vor meiner Brust. Ich atmete tief durch und schluckte meine Nervosität herunter. Unsere Zellentür wurde aufgeschoben. Hannah blickte noch ein letztes Mal verstohlen zu mir. Ein paar Sekunden verstrichen lautlos, ehe ich sah, wie sich Hannah geschickt unter den Armen der zwei Männer hindurch schlängelte. Ich beobachtete die verdutzt  blickenden Männer, ehe meine Aufmerksamkeit zu Hannah flog. „Hey!“ Die zwei Männer drehten sich um. „Was sucht ihr in der Zelle? Ich bin hier! Holt mich doch wenn ihr könnt!“ Hannah kicherte und lief los. Wieder einmal beneidete ich ihre Art. Einer der beiden Männer stürzte sofort hinter her, der andere warf erst noch einen unsicheren Blick in meine Zelle. Ich wimmerte leise, um ihm die Sicherheit zu geben, dass ich nicht auch geflohen bin. Kurzerhand lies er die Zellentür wieder zugleiten und spurtet dem anderen hinterher. Blitzartig schnellte mein dünner Arm aus der Dunkelheit hervor und bekam das rollende Gitter grade so zu fassen. Vorsichtig verlangsamte ich die Schnelligkeit und hielt kurz bevor es zuschnappen konnte an, so wie es mir Milena gesagt hatte. Sorgsam begann ich mich aufzurichten, ohne die Tür loszulassen. Ein paar Sekundenlang stand ich einfach nur da, unfähig, mich zu bewegen. Dann fiel mir ein, dass ich nicht ewig Zeit hatte. Leise lies ich das Gitter wieder aufgleiten, schlüpfte schnell hindurch und atmete tief ein. Ich schloss noch einmal kurz die Augen, um durchzugehen, was mir Hannah gesagt hatte. Kraftvoll pustete ich die Luft aus und rannte auf den Ausgang zu. „Milena.“Ich erkannte Hannes leise Stimme und stoppte abrupt, was mich fast aus dem Gleichgewicht  geworfen hätte. Ich schnellte herum und sah Hannes an seinem Gitter kauern. Meine Füße bewegten sich von selbst zu seiner Zelle. Er zog sich am Gitter hoch, um mich anzusehen, Seine wilden blonden Locken fielen ihm ins Gesicht. Sein Blick war voller Sorge und Angst. Am liebsten wäre ich Stundenlang so stehen geblieben, doch ein Schrei riss mich aus den Gedanken. Ich erkannte Hannahs Stimme. Was machst du eigentlich hier?! Ich schüttelte den Kopf. Hannes sah mich immer noch an. „Tut mir leid,“ flüsterte ich und drehte mich wieder um. Als ich kurz vor dem Tor stand, blieb ich noch einmal stehen, rannte zurück zu Hannes Zelle und drückte ihm kurzerhand einen Kuss auf seine Lippen. „Wirklich.“ Jetzt aber schnell. Ich stieß das Tor auf und rannte durch einen stark beleuchteten, engen Gang. Als sich meine Augen langsam an das gleißende Licht gewohnt hatten, merkte ich, dass ich den Gang kannte. Er führte zu der Halle. Schmerzvolle Erinnerungen quälten sich durch meinen Körper. Ich schüttelte die Erinnerungen von mir ab und rannte weiter. Ich stürzte durch eine weitere Tür. Leise hörte ich Hannahs Stimme. Meine Fuße trugen mich durch viele weitere enge Gänge, immer gradeaus. Als ich durch eine schwarze, angelehnte Tür lief, sah ich plötzlich Hannah. Neben den zwei Männern aus der Zelle waren vier weitere hinzugekommen. Sie hatten sie umrundet. Mir würde übel. Hannahs Blick war angsterfüllt und hektisch. Die Männer schienen mich nicht wahr zu nehmen, sie alle waren auf Hannah fixiert. Als Hannah mich entdeckte, schimmerte etwas in ihren Blau – Grünen Augen. Ich lief nicht weiter. Meine Sorge um sie war Riesig. Würde sie es schaffen, ihnen zu entkommen? Hannahs Blick verwandelte sich von Zuversichtlich in Angsterfüllt. Ihre Augen trafen mich für eine kurze Sekunde. Immer wieder nickte sie fast unmerklich zu der Tür. Ich atmete tief durch und  zwang mich weiter zu rennen. Ich stieß die Tür auf und flitze hindurch. Dann sah ich es. Vor mir, nicht mal zehn Meter entfernt, ragte ein riesiges, rot – leuchtendes Tor auf. Ich hörte leise, wie kleine Vögel zwitscherten. Wie sehr ich das alles vermisst hatte. Ich wollte gradewegs auf das Tor zurennen, als ich hinter mir einen erstickten Schrei hörte. Ich blieb sofort stehen. Hannah! Reflxartig rannte ich zurück und stieß die Tür auf. Meine Augen weiteten sich Augenblicklich. Einer der Männer hatte Hannah unter seinem Arm eingequetscht, ein anderer kam langsam mit einem Messer näher. Ich verspürte den Drang, zu ihr zu rennen und ihr helfen, doch meine Beine waren wie angewurzelt. Nein. Der Mann mit dem Messer kam immer näher doch ihr Blick lag auf mir. Ihre Auge waren vor Schrecken geweitet. Ich sah, dass sie kaum Luft bekam. Ihr Mund formte lautlos die Worte: „FLIEH! NA LOS!“ Ich stand immer noch da, unentschlossen, was ich tun sollte. Hannahs Augen zuckten immer wieder zum roten Tor. Dann kam der Moment, an dem in mir alles zusammenfiel. Ich nahm Hannahs Schrei nicht mehr wahr, sah nur noch das Blut. Das Blut, das ihre Kehle spritzte, ihre Arme hinunterlief, aus ihren Augen quoll, die nur noch orientierungslos umherirrten. Ich spürte nichts mehr, alles wurde kalt. Ich humpelte ein paar Schritte rückwärts, vergaß für einen Moment, was ich eigentlich vorhatte. Die anderen Männer waren bereits verschwunden. Hannahs lebloser Körper fiel zu Boden.
Ich bekam keine Luft mehr, versuchte zu atmen. In meinem Kopf hallten immer und immer wieder ihre Worte wieder. Morgen wird alles Gut, Milena. Es wird schon alles gutgehen, denk nur an das, was ich dir gesagt habe.
Blitzartig schoss mir wieder der Plan in meinen Kopf. Ich nahm mich zusammen und lief ein paar Schritte Richtung Tor, blieb stehen, drehte wieder um.

Ich habe mir geschworen,vom ersten Moment an dem ich dich hier gesehen habe, dass ich dafür kämpfen werde, dass du freikommst. Du gehörst hier nicht hin, Milena.

Ich werde dich hier raus bringen, selbst wenn ich mein Leben dafür geben muss.

Egal was passiert, ich will, dass du freikommst..

Einen kurzen Moment wurde alles vor mir schwarz. Ich hörte, sah, roch, fühlte nichts mehr.
In meinem Kopf machte etwas „Klick“.
Sie würde es nicht wollen, dass ich hierbleibe und genauso ende wie sie. Sie will, dass ich mein Leben weiterleben kann. Sie hat ihr Leben dafür gegeben, ich würde alles damit zerstören, nicht zu fliehen. Langsam landete ich wieder in der Realität.
Dann rannte ich. Rannte, und hörte nicht auf. Rannte durch das Tor, hinaus in die Freiheit, durch Wälder und Dörfer, Hunderte Kilometer, Wochenlang.
Rannte durch Wiesen, zurück, in die altbekannte Landschaft, zurück, direkt in Opas Arme, der all die vielen Monate mit Gebeten und unter Tränen gehofft hat, dass ich eines Tages wiederkomme.

Ich bin wiedergekommen. Ein letztes Mal dachte ich an Hannah, danke ihr für alles, was sie für mich tat und schlief endlich in Opa's Armen ein. Frei.






Freitag, 15. Juni 2012

Gestorben. Endlich.

Kribbeln.
Leichter Druck auf der Haut.
Zucken.
Ein kleiner Stich.
Angst aus purer Hoffnung.
Ziehen.
Langsam.
Stechender Schmerz.
Ausatmen. Einatmen.
Ziehen, stärker.
Schmerz.
Verlangen.
Ein Ruck.
Schließen der Augen.
Arm heben. Langsam, behutsam.
Betrachten.
Beobachten.
Augen leuchten.
Hoffnung aus purer Angst.
Blut.
Tiefrot.
Beobachten.
Tropfen.
Blutflecken auf dem Boden.
Ein Muster.
Mehr Verlangen.
Ein Schnitt.
Zittern.
Durchatmen.
Zwei weitere.
Blut, so viel Blut.
Beruhigen in der Unruhe.
Schlagen der Pulsader.
Klinge zur Ader führen.
Augenschließen.
Unaufhaltsamer Schmerz
Augenöffnen.
Flimmern.
Schwindel.
Blutlachen auf dem Boden.
Klinge im Arm.
Sinne schwinden.
Langsam.
Herabsenkende Schwärze.
Müdigkeit.
Angst.
Pure Angst.
Dunkelheit.
Dumpfer Aufprall.
Nichts mehr sehen.
Nichts mehr hören.
Blut schmecken.
Blut fühlen.
Dann...
Leere.
Stille.
Gestorben.
Endlich.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Wach auf

Sieh dich an. Was aus dir geworden ist. Erkennst du dich? Deine damals so lebhaften Augen, dein langes Haar, deinen Körper, erkennst du dich in dieser blassen, zerzausten und dürren Figur, die vor dir im Spiegel steht? Spürst du die Träne, die über deine Wange schleicht? Greife nicht danach, du wirst sie nicht spüren. Du kannst sie nicht fühlen, diese Verlorenheit. Du siehst nur dich selbst. Warum lügst du dich an? Wieso zur Hölle führst du dir dein Leben nicht endlich mal vor Augen? ... willst du es nicht sehen? – oder kannst du nicht? Ich sehe, dass du zitterst, versteck es nicht! Begreife endlich, dass dein Leben lange nicht so schön verlaufen ist wie du es dir vielleicht immer gewünscht hast. Wie kannst du eine so perfekte Person in dir sehen, wenn du eigentlich halb im Tode schwebst? Ich verstehe nicht, wie du deine innerlichen Wunden so gut vor dir verstecken kannst, dass du sie nicht finden würdest, egal wie exakt du danach suchen würdest. Kannst du mir den Grund nennen? – Nein, natürlich nicht. Du kannst ja noch nicht mal für dich selbst begründen, warum du so falsch bist. Du siehst es ja NICHT! Wach auf Mädchen. Erwecke den Willen zu wissen, dass du eigentlich schon gestorben bist. Dass deine Seele schon längst begraben liegt und nur dein verlorener und vergessener Körper deine Existenz beibehält. Wach auf.

Lüge des Lebens

Sie gleichen dem Gefühl sich nicht lösen zu können, als wäre man fest gekettet an die Tatsache, jeden Moment dem Tod entgegen driften zu können. Es gibt diese bestimmten Momente im Leben eines Menschen, in denen die Wände aller Seiten einen zu erdrücken versuchen. Man glaubt ignorieren zu können, wie die Decke sich einem entgegenwölbt. Dabei ist es bloß das große Verlangen, im Leben nicht zu früh draufzugehen. Selbst Suizid ist nur eine Fassade. Man will sich umbringen weil man glaubt zu früh zu sterben, nur dass es alle als Alltagsprobleme  beschreiben. Streit, Angst und weiß der Himmel was sonst noch so als Grund angegeben wird. Die Tatsache, dass das Leben einer jeden Person nichts weiter als eine riesige Lüge ist, verstehen wir meistens erst dann, wenn es viel zu spät ist, um noch irgendetwas daran zu ändern. Der Schmerz, der einen in dem Moment dieser Erkenntnis durchfährt, ist wie ein Blitz, der in einen Baum einschlägt. Man weiß, dass er irgendwann und irgendwo erscheinen wird  - nur dass die genaue Uhrzeit und der exakte Ort fehlen. Am Ende schlägt er dann zu, wenn man längst nicht mehr daran glaubt, dass er auftaucht. In dieser Sekunde durchzuckt es einen regelrecht, alles prasselt auf einen nieder und erstickt dass damalige unechte Leben in der Seele, an dem Ort, wo es sich einst so fest verankert hat. Erst ab diesem Moment, wo sich die versteckte Fassade aus dem Körper gelöst hat, ist man bereit, gehen zu wollen. Ein Großteil der Menschheit durchlebt diesen Moment erst im Alter von 70 – 80 Jahren. Nur wenige, sehr wenige haben von Anfang an verstanden, worum es geht. Dass sind jene Personen, die keine Angst vor dem Tod haben, Personen, die mit jungen Jahren von der Welt gehen werden, ohne sich zu weigern. Suizid ist nicht dasselbe, dass darf man nicht denken. Menschen, die Suizid begehen wollen, haben die Lüge des Lebens so tief in sich sitzen, dass sie die Wahrheit nicht einmal im späten Alter erfassen werden können. Es erscheint im ersten Moment wahrscheinlich kritisch, dass eine Person diesen Text schreibt, die genau diese Fehler begangen hat – oder begehen wollte, doch grade dass macht die Wahrheit so stark. Es zeigt, dass selbst solch verlorene Menschen die Lösung für das Rätsel der Lüge des Lebens finden können. Sie finden sie, weil sie nicht danach fragen, sondern weil sie die Antwort nach jenen Personen suchen lassen, die bereit sind, ihre Fehler einzugestehen, auch wenn sie es nicht zu wissen vermögen.

Mittwoch, 2. Mai 2012

Sterben

S steht für Schmerz – Schmerz, der äußerlich nicht zu erkennen ist.
T steht für Trostlosigkeit, ein Gefühl, für immer verloren zu sein.
E steht für Erinnerungen, erlebte Momente die man nicht vergessen kann.
R steht für Ratlosigkeit, nicht zu wissen wie die Situation zu ändern ist.
B steht für Boshaftigkeit, an alle gerichtet die es so weit hatten kommen lassen.
E steht für Ehrlichkeit, als Zeichen dafür das zu tun was man denkt.
N steht für nie wieder, weil dies das Ende von allem sein wird.


L steht für Lust – am Leben Freude zu haben und es zu genießen.
E für Erlebnisse, die besonderen kleinen Momente die immer in Herzen bleiben.
B steht für Bewohnbarkeit.
E steht für Ehrgeiz, als Zeichen dafür nicht aufzugeben.
N steht für Nichtigkeit, als Zeichen dass nichts viel ist.

U für Unbeharrlichkeit, dass man sich in manchen Situationen schlecht fühlt.
N steht für nie mehr, weil dass nie mehr so sein wird wie früher.
S für Sicherheit, die wir im Leben nie haben werden.
T für den endlosen und unvorhersehbaren Tod.
E steht für das Erbe das die Generation vor uns hinterlässt.
R Reue - das was die Jugend von heute selten zeigt.
B für berauscht, denn die Lebendigkeit fließt durch unsere Venen wie Heroin.
L steht für die allgegenwärtige wunderbare und schöne Liebe.
I für ICH weil heute fast alle nur noch auf sich schauen.
C steht für chaotisch, denn Chaos ist das, was sich zunehmend auf unserer Welt durchsetzt.
H für die Hoffnung die die Jugend in die Zukunft setzt.
K Kontrolle, weil der Staat uns überwacht.
E Energie die wir nie hatten…
I  Idiologische Ansichten der Menschheit, die meist falsch sind…
T den Täglichen schmerz den man empfindet wen man an die Vergangenheit denkt.

Es fühlt sich an wie damals

Es fühlt sich an wie damals, als du von uns gegangen bist. Auch wenn die Situation neu und anders für mich ist, ich fühle dasselbe wie vor 2 Jahren. Vor meinen Augen kommt es mir immer wieder hoch, dieser Anblick, wie dieses Arschloch nicht gebremst hat und du … so, weißt du. Wir konnten dir nicht helfen als du am anderen Ende der Welt überfahren wurdest. Dasselbe Gefühl. Wir konnten ihr nicht helfen, nur dabeisitzen und beten dass alles besser wird. Ich erinnere mich noch, wie wir an deiner Beerdigung geweint haben, wie sehr. Heute waren keine Tränen vorhanden. Ich musste lernen, wegzustecken. Ich musste lernen zu lachen, wenn ich am liebsten heulen würde. Ich hab mir gewünscht, weinen zu können, denn jetzt wird sich wieder alles anstauen, es wird sich anstauen und sich dann entladen, wenn es einen Zeitpunkt gibt, an dem ich einfach nicht mehr kann. Ich bereue es, nicht von Anfang an gelernt zu haben, mit Gefühlen umzugehen. Jetzt, wo ich es kann, es ist nur noch Gefahr. Gefahr um mein eigenes Leben. Lieber hätte ich stundenlang weinen sollen, als später auf schlimme Gedanken zu kommen. Ich Moment wünschte ich mir einfach nur, du wärst noch da. Mir wäre so vieles erspart geblieben. Ich hätte nie gelernt mit solchen Situationen umzugehen, ich hätte alles über mich ergehen lassen können. Es hätte sich alles entladen können, bevor es ausarten kann. Warum musste alles so kommen?

Donnerstag, 12. Januar 2012

Unsichtbar

'Manchmal wünsche ich mir, das Leben ist ein Spiel. Wenn etwas nicht so läuft, wie man es will, drückt man einfach den „Reset“ Knopf und alles beginnt von vorne. Neues Leben, neue Chance.'
Das Problem ist nur … in der echten Welt gibt es nun mal keinen Knopf, der alles rückgängig macht. Auch, wenn man sich das oft genug wünscht. Wenn nun einmal etwas so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, muss man es hinnehmen, vollkommen egal wie schmerzhaft es manchmal ist.
Ich weiß, wovon ich rede.
An vielen Tagen verschwinde ich von zu Hause. Ich gehe irgendwo hin, ohne Plan, was ich als nächstes tun werde. Am liebsten bin ich bei Nebel unterwegs. Ich liebe das Gefühl, vom Rest der Welt abgeschieden zu sein. Dann gibt es nur noch mich … und die 10 Quadratmeter Umfeld die ich sehen kann. Alles andere verschwindet hinter einem riesigen, grau – weiß – durchsichtigen Wolkenschleier.        
Viele Menschen mögen den Nebel nicht. Sie sagen, sie würden durch ihn depressiv werden, oder bekämen schlechte Laune. Sie hätten das Gefühl, alleine zu sein, ganz alleine.
Ich verstehe all diese Menschen nicht. Ich bin gerne alleine. Ich war überhaupt noch nie der Typ Mensch, der gerne unter vielen Leuten war. Selbst in meiner Familie fühle ich mich manchmal, als sei ich das fünfte Rad am Wagen …
Ich gehe nie auf irgendwelche Feste, vor allem bei solchen wie der Herbstmarkt, Karneval ect.
Da ist meistens so viel los, das man nicht mal mehr die Straße unter den eigenen Füßen erkennt!
Ich kann so etwas nicht leiden. Man fühlt sich eingeengt, unterdrückt, manchmal bekomme ich in solchen Situationen kaum mehr Luft. Beinahe könnte man meine Abneigung gegen Gesellschaft schon „Platzangst“ nennen.
In der Schule bin ich immer froh, wenn es keine Gruppenarbeit gibt. Ich hatte noch nie das besondere Talent, mit meinen Mitmenschen zu kommunizieren oder zusammen zu arbeiten, ganz egal ob in meiner Klasse oder zu Hause. Die Meisten verstehen mich nicht.
Aber was soll ich da schon groß tun, ich werde mich jedenfalls nicht für sie ändern!
Außerdem bringt dieses ganze „Kooperative Zusammenarbeiten“, Zusammendenken, oder wie man es auch nennen will, rein gar nichts!  Kommunizieren bringt Unterhaltung, Unterhaltung bringt oft Konflikte und Konflikte sorgen für Streit.
Da habt ihr´s! Erkennt ihr jetzt endlich, dass es viel leichter ist, für sich zu leben und einfach alleine zu sein? Kapiert ihr nicht, das ihr mit euren Gemeinsamen Ideen nur Mist baut?
Leute tun sich zusammen, werden Freunde, kommen plötzlich zu unterschiedlichen Meinungen, und Tada! Es wird gestritten und am Ende kommt es auch noch dazu, dass sie Feinde werden und sich bekriegen. Denkt doch mal an den Ersten und Zweiten Weltkrieg! Was denkt ihr, wie es damals zu all dem kam? Hatten sie Langeweile, oder ganz plötzlich Lust darauf, ganze Länder zu bombadieren? Nein, verdammt! Die Gründe, oder eher gesagt 'Konflikte' waren Meinungsverschiedenheiten! Wem gehörte dieses Land, wem welcher Kontinent, bla bla bla.
Und all das nur, weil sich ein paar Menschen zusammensetzten, die dachten, sie fänden gemeinsam eine Lösung. Das ich nicht lache!
Aber ihr werdet es sowieso nie verstehen. Ihr werdet nie auf Menschen wie mich hören und  eure Welt immer weiter kaputt machen.
Ich bin froh, dass ich immer, wenn die Wolken mit der Erde verschmelzen, alleine sein kann. Ich muss mir keinen einsamen Platz suchen. Orte, die man ansonsten schon aus Kilometern Entfernung sehen kann, verblassen hinter der undurchdringlichen Wand aus Nebel. Manchmal, wenn ich selten doch mal jemanden begegne, kommt einer dieser ungeheuer Faszinierenden Momente, wo ich stehenbleibe, und einfach nur noch zusehe. Dabei, wie die Person, die gerade erst an mir vorbei gegangen war, die ich ganz deutlich erkennen konnte, langsam immer verschwommener, kleiner, schattiger und beinahe unsichtbar im Nebel verschwindet und nichts mehr zu unterscheiden ist.
Ich mag es einfach! Man denkt, der Nebel verschluckt alles. Die Umgebung, die Menschen, alles was sich um sich herum befindet. man ist allein, einfach allein und kann für einen Moment vergessen, warum man überhaupt existiert.